zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Das Problem mit der Pension

Die Finanzaffäre um Potsdams IHK-Präsident Victor Stimming stürzt die Organisation in eine Krise

Stand:

Es gab keine öffentliche Erklärung des Mannes, der bisher gern im Rampenlicht stand: Schweigend, bleich eilte er Mittwochmittag im IHK-Gebäude an den wartenden Journalisten vorbei in den Saal. Sein schwerster Gang, der zum Abtritt. Der Bauunternehmer Victor Stimming ist am Mittwoch als Präsident der Potsdamer Industrie- und Handelskammer (IHK) mit sofortiger Wirkung zurückgetreten, nach achtzehnjähriger Amtszeit. Der 62-Jährige verkündete dies hinter verschlossenen Türen einer wegen des Skandals um Vetternwirtschaft und Privilegien des Präsidenten vorgezogenen Vollversammlung, dem Kammerparlament.

Die bisherige Vizepräsidentin, die Potsdamer Hoteldirektorin Beate Fernengel, gab dann seinen Rücktritt bekannt. Fernengel wird nun bis zu einer Neuwahl im Frühjahr 2014 die Amtsgeschäfte führen. Eine Findungskommission soll einen Nachfolger suchen. Eine Zeit, in der intern aufgeräumt werden muss. Sie kündigte eine weitere Aufklärung der Vorgänge an, „um den Schaden für die Kammer zu minimieren“. Das soll der reguläre Haushaltsausschuss tun. Aber auch externe Wirtschaftsprüfer sollen nun das Finanzgebaren der IHK untersuchen. „Das ist sicher notwendig“, sagte Fernengel den PNN. Sie sei über manches, was ihr zur Kenntnis gelangt sei, „erschüttert“. Allerdings gab es auch viele im Saal, die sich eher daran stießen, dass die Kammer das nicht intern klärt, die Missstände öffentlich wurden. Ein Vorstoß der „Transparenz“-Gruppe in der Vollversammlung, die eine Kommission einsetzen wollte, fand keine Mehrheit. Stimming hatte die mit 70 000 Mitgliedern größte Kammer Brandenburgs, zuständig auch für den prosperierenden Berliner Speckgürtel, seit 1995 geführt. Ein umtriebiger Typ, der beste Drähte zur Politik pflegte, jährlich eine Oldtimer-Rallye veranstaltete. Und der mit seiner Firma HIB in Brandenburg wie in Berlin viele Gebäude baute – Aufträge der öffentlichen Hand, aber auch von Firmen wie Daimler oder der Energieversorger Edis. Er war so etwas wie ein Cheflobbyist der Wirtschaft Brandenburgs. Aber schon immer auch einer in eigener Sache, was ihm nun zum Verhängnis wurde. „Weil er es übertrieb“, wie es in der IHK heißt.

Für einen ehrenamtlichen Präsidenten hat er ungewöhnlich stark selbst von der Kammer profitiert. Das Fass zum Überlaufen brachte die Bestätigung, dass er sich eine Pension zahlen lassen wollte und es dafür Rückstellungen von einer halben Million Euro gibt. „Das geht gar nicht“, hieß es einhellig. Den Grundsatzbeschluss dafür hatte allerdings das alte IHK-Präsidium unter seiner Führung getroffen – Stimming war im Dezember 2012 für fünf Jahre wiedergewählt worden. Damals übrigens einstimmig. Für die Sitzung war man extra nach Malta gereist.

Es ist einiges, was da zusammenkommt. In der Summe finanzierte die Potsdamer IHK dem Präsidenten neben einem Dienstwagen eine jährliche Aufwandsentschädigung über 30 000 Euro und zwei Sekretärinnen, davon eine, die in seiner Baufirma HIB in Brandenburg an der Havel arbeitete. Der IHK liegen nach PNN-Informationen inzwischen Unterlagen vor, wonach die kammerfinanzierte Sekretärin bei Stimmings HIB Personalreferentin ist. Ein Umstand, der sogar strafrechtlich relevant sein könnte, heißt es bei Rechnungsprüfern der Kammer.

In den anderen Kammern Brandenburgs gibt es für Präsidenten nichts Vergleichbares an Vorteilen. Und beim aktuellen Kammer-Projekt, der Sanierung der Potsdamer Villa Carlshagen zum Sitz einer neuen IHK-Stiftung, kassierte – was PNN am Mittwoch publik machten – eine Stimming-Firma in diesem Jahr für die Projektsteuerung 40 000 Euro. Den Anspruch auf die Kammerleistungen leitete Stimming wohl auch her, weil die IHK-Kassen gut gefüllt sind. Die Kammer hat dem Vernehmen nach rund 50 Millionen Euro angespart, was sich Stimming als Verdienst zuschreibt. „Auf meinen Konten waren 1995 wesentlich mehr Mittel als ich bei den Kammerkonten vorfand“, erklärte er noch vor wenigen Tagen in einem Verteidigungsbrief an die 70 Mitglieder der Vollversammlung, in der er alle Vorwürfe zurückwies, sich als Opfer einer Intrige und böswilliger Verlemdungen sah.

Der Skandal schlägt Wellen über Potsdam hinaus. Schon seit Jahren stören sich Kritiker an der Intransparenz bei vielen Kammern, an der Zwangsmitgliedschaft für alle Firmen und an hohen Beiträgen. Der Fall Potsdam sei besonders spektakulär, heißt es beim Bundesverband für freie Kammern. „Aufwandsentschädigung und Altersversorgung – das gab es bislang nicht“, wundert sich Hauptgeschäftsführer Kai Boeddinghaus. Die IHK Potsdam gehöre ohnehin zu den teuersten in Deutschland. Oft gehe es bei Spitzenposten nicht nur um ein Ehrenamt. „Viele Präsidenten nutzen die Kontakte durch diese Tätigkeit, um eigene Geschäfte voranzubringen.“ In der Kammer-Szene ist man entsetzt. „Das bringt die ganze IHK-Landschaft in Verruf“, sagt ein Insider.

Seiten 1 und 15

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })