zum Hauptinhalt
Adresse mit Geschichte: Am Körnerweg 4 lebten Albert und Betty Rosenbaum.

© A. Klaer

Von Guido Berg: Das Schicksal alter Nachbarn

Für Stolpersteine in Babelsberg erforschten Potsdamer Schüler die Biografien ermordeter Juden

Stand:

Babelsberg - Erstmals ist die Lebensgeschichte von Babelsberger Juden und deren Schicksal im Nationalsozialismus detailliert erforscht worden – von Schülern der Goethe- und der Voltaire-Gesamtschule sowie der Waldorf-Schule. „Das ist in dieser Intensität noch nicht passiert“, lobte gestern Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) bei einer Präsentation der Forschungsergebnisse in der Aula der Goethe-Gesamtschule. Die erforschten Lebensdaten der Babelsberger Juden sind Grundlage für die dritte Verlegung von Gedenk-Stolpersteinen in Potsdam am kommenden Dienstag, dem 29. Juni 2010, ab 12 Uhr.

Die vom Künstler Gunter Demnig ins Straßenpflaster verlegten Stolpersteine erinnern vor der Karl-Marx-Straße 8, ihrem letzten freiwillig gewählten Wohnhaus, an Emil, Pauline und Clara Kauf. Im Körnerweg 4 werden zwei individuell beschriftete Messingplatten für Albert und Betty Rosenbaum verlegt. Theodor und Helene Dornbusch werden mittels zweier Gedenksteine in der Straße Alt Nowawes 118 dem Vergessen entrissen. Mit seinen Stolpersteinen erinnert Demnig bereits seit 2003 an Menschen, die im Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.

Wie die Schüler gestern schilderten, haben sie verschiedenste Recherche-Wege beschritten, um die Schicksale der ehemaligen Babelsberger aufzuklären. Sie nutzten das Internet, recherchierten im Landeshauptarchiv, besuchten das Jüdische Museum in Berlin, gingen auf den Jüdischen Friedhof und sprachen mit Zeitzeugen. Sofie, Schülerin der 8. Klasse der Voltaire-Schule, kontaktierte das israelische Einwohnermeldeamt auf der Suche nach Nachfahren – und erhielt Antwort.

Ausfindig machen konnten die Schüler die Enkel von Betty und Albert Rosenbaum, Betty Shlomi und David Rosenbaum, die nun an der Stolperstein-Verlegung zur Erinnerung an ihre Großeltern am kommenden Dienstag dabei sein werden. Albert Rosenbaum, geboren am 17. Juni 1875, war Schauspieler, Regisseur und Direktor des Potsdamer Walhalla-Theaters. Betty Bukofzer, geboren am 26. November 1891, spätere Rosenbaum, sang im Potsdamer Synagogenchor. Die letzte frei gewählte Wohnung der beiden Babelsberger befand sich am Körnerweg 4. Vor ihrer Deportation bewohnten sie eine Zwangsunterkunft in der Großbeerenstraße 98. Albert Rosenbaum starb noch im Jahr seiner Deportation 1942 im Warschauer Ghetto. Betty Rosenbaum ist verschollen und wurde später für tot erklärt. Die Schüler halten es für sehr wahrscheinlich, dass sie in ein Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet wurde. Beider Söhne, Eric und Gerhard Rosenbaum, lebten bis zu ihrem Tod in den USA.

Die Schüler der Waldorf-Schule entdeckten in Israel die Spur eines Mannes, der drei Monate mit Margot Falkenburg verheiratet war, dann aber vor den Nazis über England und Australien nach Palästina floh.

Der Oberbürgermeister hob hervor, dass der akribische Umgang mit konkreten Biografien für die Schüler besser ist als jede Theorie und die bloße Darstellung abstrakter Opferzahlen: „Sie können Grausamkeit nicht durch Zahlen vermitteln.“ Sehr persönlich berichtete Jakobs von einer Begebenheit in seiner Jugendzeit. Im französischen Rouen war Jakobs zu Gast bei einer Familie. Beim Essen sprach der Hausherr in bestem Deutsch. Wo er das denn gelernt hat, fragte Jakobs unbefangen. Die Antwort: „Im Konzentrationslager.“ Ihm sei die Kinnlade runtergeklappt. Obwohl noch ziemlich jung, habe er sich schuldig gefühlt. Man könne ganz unvermittelt mit der eigenen Geschichte konfrontiert werden, so Jakobs. Jeder müsse „ein eigenes Verhältnis“ zur deutschen Geschichte finden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })