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Homepage: „Das war kein Sommertheater“

Der Potsdamer Politologe Jürgen Dittberner über die Große Koalition, ihre Risiken und Perspektiven

Stand:

Sie haben vor kurzem eine Analyse der Großen Koalition veröffentlicht in der Sie zu dem Schluss kommen, dass die Koalition nichts Großes leisten wird. Wie lange geben Sie der Zweckehe noch?

Die große Koalition wird so lange bleiben, wie die jeweiligen Partner weder rechnerisch noch politisch eine andere Perspektive haben – länger nicht. Da kann sich bei der Union eher etwas ergeben als bei der SPD. Wer sollten andere Partner der SPD sein? Aber die Union hat sowohl die FDP als auch die Grünen als Optionen im Auge. Sollte sich da etwas auftun, wird sie abspringen.

Der Zusammenhalt zwischen CDU und SPD scheint zerrüttet. Ein Sommertheater vor Landtagswahlen oder eine nachhaltige Krise?

So heftig, wie da gestritten wurde: Das war kein Sommertheater, das war echt. Da wurde Frust abgelassen. Ob dies ein reinigendes Gewitter war oder der Anfang eines lange währenden Tiefs, bleibt abzuwarten.

Kanzlerin Merkel erscheint nach dem Einknicken zur Gesundheitsreform nur noch als Marionette der Unionsfürsten...

Tatsächlich haben die „Unionsfürsten“ in den Ländern eigenständige Macht. Aber abwarten: In diesem Punkte halte ich es mit Seehofer – wer Angela Merkel unterschätzt, hat schon verloren.

Wer regiert zurzeit Deutschland, eine Große Koalition unter Kanzlerin Merkel oder drei Ministerpräsidenten mit einer CDU-Vorsitzenden, die sich mit ihnen arrangiert?

Alle zusammen, und das ist das Problem. Die Kanzlerin steht vor der strategischen Notwendigkeit, die bundespolitische Macht der Ministerpräsidenten zu brechen. Dass sie es schafft, ist ihr immerhin zuzutrauen. Schließlich hat sie auch Kohl, Schäuble und Merz in die Schranken verwiesen.

Kann man überhaupt noch von Regieren sprechen?

Doch schon. Es ist aber wie bei Schröder – viel Stückwerk. Wenn die Regierung im kommenden Jahr die Gesundheitsreform und die „Hartz“-Maßnahmen strukturell überholt, könnte sie noch Fahrt gewinnen.

Merkel wurde vom Partner SPD Führungsschwäche vorgeworfen. Ist der Ruf nach Neuwahlen berechtigt?

Die SPD kann nicht ständig nach Neuwahlen rufen, wenn ihr etwas nicht passt. Damit würde sie sich nur selber schwächen. Sie sollte daran denken, wie froh sie Ende 2005 war, dass sie weiter mitregieren durfte.

Die Zeit der Konsenssucht scheint vorbei. Welche Konflikte stehen nun an?

Vor allem der Konflikt mit der Machtsucht der Ministerpräsidenten. Auch die politische Korrektheit – das Verbot des Denkens in Alternativen – muss aufgegeben werden, wie beispielsweise die Entwicklung der Ausländerpolitik zeigt.

Merkels Umfragewerte sinken, die Koalition ist auf dem Stand von Rot-Grün im Endstadium gerutscht. Nur ein Warnschuss der Wähler oder eine Ernst zu nehmende Entwicklung?

Umfragen sind keine Wahlen. Wenn aber der Kanzlerin die bundespolitische Eindämmung der Ministerpräsidenten nicht gelingen sollte, könnte es eng werden für sie. Der Union ist zuzutrauen, dass sie vor einem erneuten Wahlgang bei schlechten Umfragen die Spitzenpersönlichkeit einfach auswechselt – so wie sie es einst mit Ludwig Erhard getan hat.

Immerhin ist unter der Großen Koalition erstmals seit Jahren ein Rückgang der Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen. Ein Verdienst der Vorgängerregierung?

Eine richtige Trendwende ist das ja noch nicht, jedoch Licht am Horizont. Das hat wohl mit der Weltwirtschaft zu tun, aber auch mit der angekündigten Mehrwertsteuererhöhung 2007 und mit Maßnahmen Schröders. Dass sich die aktuell Regierenden das anrechnen, ist normal.

Ihr Fazit zur Ära Rot-Grün?

Es sollte eine Ära werden und ist eine Episode geblieben. Aber einige Paradigmenwechsel hat es gegeben: in der Familienpolitik – Stichwort „Homoehe“ – und in der Außenpolitik – Stichwort „Irak-Krieg“ – zum Beispiel.

Welche Perspektiven bleiben nun für die Große Koalition?

Sie hat Chancen, wenn die Kanzlerin die bundespolitische Macht der Ministerpräsidenten stutzen kann und wenn sie sich in der Gesellschaftspolitik noch zu großen Reformen durchringt. Bei dem Kleinmut, den sie bisher an den Tag gelegt hat, muss man allerdings skeptisch sein. Große Koalition, kleine Schritte – das trägt nicht lange.

Sie sagen, die Republik bleibe dringend überholungsbedürftig. Welche Schritte werden derzeit vertan?

Vor allem im Verhältnis Bund-Länder ist man viel zu zaghaft. Wir brauchen einen Konkurrenzföderalismus und Länderfusionen. Auch müsste der Bundestag verkleinert werden. Nichts von dem hat die Regierung Merkel angepackt.

In ihrem Buch fragen Sie, ob mit dem parteipolitischen Neuanfang 2005 auch eine Neujustierung der politischen Kultur einherging. Ihr Ergebnis?

Bisher hat es keine Neujustierung gegeben, sondern eine Fortsetzung der allgemeinen Politikverflechtung. Und schuld ist die große Koalition, die mir vorkommt wie ein überängstlicher Riese.

Und die Opposition?

Jede ihrer Parteien profitiert zur Zeit von der Krise der Regierung. Aber jede ihrer Parteien hat dennoch ihre eigenen Probleme: Die FDP muss aufpassen, dass sie nicht zur machtlosen Stichwortgeberin der deutschen Politik wird. Die Grünen müssen ohne Joschka Fischer eine neue Perspektive entwickeln. Und die Linkspartei muss erst einmal ein inneres Gleichgewicht finden zwischen Ost und West.

Fragen von Jan Kixmüller

Prof. Jürgen Dittberner (66) lehrt Politikwissenschaft an der Uni Potsdam. In diesem Frühjahr ist von ihm das Buch „Große Koalition – Kleine Schritte“ (Logos Verlag) erschienen.

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