zum Hauptinhalt

Homepage: Das Wasser bis zum Hals

Klimawandel verschärft sich: Vor Bali-Konferenz kommen aus Potsdam mahnende Worte

Stand:

Die Reaktionen ähneln sich eigentlich immer. Wenn man von einer der vielen derzeit laufenden wissenschaftlichen Konferenzen zum Klimawandel berichtet, von der offenkundigen Brisanz der Lage, von den vielen uns lieb gewonnenen Dingen, die sich grundlegend ändern müssten, dann erntet man ein erstaunt-sorgenvolles Gesicht. Und dann geht es weiter, wie gehabt. Schenkt man den Studien und Modellen aber glauben, so müsste es schon sehr bald vorbei sein mit Wochenend-Tripps nach Rom, Autos die zehn Liter schlucken und Heizpilzen vor Cafés.

So stellte dann der Kieler Umweltpsychologe Klaus Wortmann unlängst auf einer Konferenz des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) auch fest, dass gemessen an der sich zuspitzenden Situation der Erderwärmung der Fortschritt in unseren Köpfen eine Schnecke ist. Warum? Weil Klimaschutz mühsam ist und Einschränkungen bedeutet – zumindest solange noch keine grundlegend neue Energieressource erschlossen ist. Daher müsste es die Politik den Menschen so einfach wie möglich machen, aber auch mit Verboten und Geboten die Richtlinien zeigen. Womit man in Europa noch recht zaghaft ist. Ein Vertreter Chinas berichtete auf einer Konferenz des Klimarats der Vereinten Nationen (IPCC) und des European Climate Forum (ECF) am Freitag, dass im Reich der Mitte nun die Raumtemperaturen vorgeschrieben sind: Im Sommer darf nicht unter 26 Grad gekühlt, im Winter nicht über 20 Grad geheizt werden.

„Wir brauchen nicht in die Höhle zurückkehren, wir haben Technologien, die eine gemeinsame Zukunft ermöglichen“, beruhigte indes IPCC-Chef Rajenda K. Pachauri auf der Konferenz. Aber Einschränkungen seien von jedem einzelnen verlangt, so war Pachauri per Satellit zugeschaltet, auch um den klimaschädlichen Flug zu sparen. Wozu er allen Grund zu haben scheint. Denn das, was Pachauri nun mit dem vierten Teil des IPCC-Berichts – an dem zahlreiche PIK-Forscher beteiligt sind – vorlegt, ist alles noch einen Zacken schärfer und Schritt schneller als in der Version vom Frühjahr.

Neben den grundsätzlichen Feststellungen, dass der Klimawandel real und von Menschen verursacht ist, dass die Erwärmung weiter gehen wird und dass nun Techniken zur Eindämmung und Anpassung dringend entwickelt werden müssen, hat der Bericht auch einige neue Zahlen parat. So lägen die Temperaturerhöhung im 20. Jahrhundert mit 0,76 Grad über den bislang angenommenen Werten. Die Polarregionen zeigten schon deutliche Erwärmung, Gletschermassen und Eiskappen würden massiv abschmelzen. „Einen solchen Wandel gab es das letzte Mal vor 125 000 Jahren“, so Pachauri. Schon eine Erwärmung der globalen Mitteltemperatur von 1,5 bis 2,5 Grad bringe den unabwendbaren Verlust zahlreicher Arten mit sich. In den meisten Regionen der Erde würden die negativen Folgen überwiegen, besonders betroffen würden Afrika, Asien und Lateinamerika sein, ohnehin schon die ärmsten Regionen der Erde.

Das vom IPCC verfochtene Ziel, die Erwärmung durch Reduzierung der Treibhausgase auf zwei Grad seit der Industrialisierung zu beschränken, ist recht ehrgeizig. Für viele, gerade in der Politik, ist die Zahl ein Maximalziel, doch die Forscher machen nun klar, dass es sich vielmehr um das Minimalziel handelt. Warum, das wurde unter anderem deutlich, als der Vertreter der kleinen Inselstaaten, Kishan Kumarsingh, berichtet, dass den Inseln schon jetzt das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Hals steht.

Der Weltgemeinschaft bleibt nur noch ein kleines Zeitfenster. Darüber sind sich die Klimaforscher mittlerweile einig. Wenn schnell gehandelt werde, lasse sich die Erwärmung noch begrenzen, so die einhellige Meinung der Wissenschaftler. Die Rede ist nun von zehn Jahren für die Energiewende. „Fangen wir jetzt damit an“, forderte Pachauri. Wenn nicht, dann sieht es düster aus. Sollte die globale Mitteltemperatur in den kommenden Jahrzehnten um drei bis vier Grad steigen, handeln wir uns nach den Worten von Carlo Jaeger vom PIK für die nächsten Jahrhunderte einen um zehn Meter gestiegenen Meeresspiegel ein. „Dann können wir die meisten Küstenstädte mit dem U-Boot besuchen“, sagte Jäger auf der Konferenz des ECF, dessen Direktor er ist.

PIK-Direktor Hans Joachim Schellnhuber legte noch nach: Ohne Klimaschutzmaßnahmen könne der Meeresspiegel langfristig um bis zu 50 Meter ansteigenBei einer starken Erderwärmung drohten auch „Kippschalter“ des globalen Klimas umzufallen. Dann würde etwa das Grönlandeis abschmelzen oder das Himalayagebirge kein Schmelzwasser mehr für die großen Flüsse Asiens liefern können. Allein in China wären eine Viertel Milliarde Menschen von Wasserknappheit bedroht, hatte Pachauri vorgerechnet. Carlo Jaeger schloss kurz und knapp: „Wenn wir nicht bis 2100 die globalen Emission um 80 Prozent gesenkt haben, dann ist die Konsequenz Krieg.“ Umso bedeutender, dass man auf der Bali-Konferenz in der kommenden Woche über ein Folgeabkommen für das Kyoto-Protokoll einig werde. Sollte allerdings Indien das Fortkommen blockieren und die USA dabei sekundieren, dann würde dies zu „sehr ernsten internationalen Verwerfungen“ führen.

Grundsätzlich sei die öffentliche Sicht auf den Klimaschutz verkehrt. Denn die massive Emissionsreduzierung, die der Klimaschutz verlange, sind laut Jaeger keine Belastung sondern ohne ökonomische Einbußen möglich.Vielmehr sei das Thema gerade wirtschaftlich ein enorme Chance. „Deutschland kann auf dem Weltmarkt mit innovativen Technologien auf dem Weltmarkt auf Platz eins kommen“, sagte Jaeger. Bis zu einer Million Arbeitsplätze seien in den neu entstehenden Sektoren möglich, vor allem auch in den neuen Bundesländern. Der Soziologe erinnerte aber auch daran, dass Europa durch seine gegenwärtige Schwäche nicht in der optimalen Lage dafür sei, eine tragfähige Klimastrategie zu verfassen. „Wenn in den USA eine kompetentere Regierung an die Macht kommt, muss Europa besser aufgestellt sein“, mahnte er.

Die Wissenschaft indes ist schon einige Schritte weiter als Öffentlichkeit und Politik. Dass der Klimawandel stattfindet, hat die Forschung geklärt. Nun geht es darum, wie ein weltweites Management diesen Wandel gestalten kann. Wobei auch unerwartete Fragen auftauchen. So hat PIK-Chef Schellnhuber aus einem Brainstorming der britischen Royal Society mitgenommen, dass das Thema „soziale Absorption von Innovation“ nun oberste Priorität habe: die Frage, wie schnell und nachhaltig innovative Technologien von der Gesellschaft akzeptiert uns aufgenommen werden. Gerade mit Blick auf die bevorstehende Energiewende eine fundamentale Frage. Und immerhin wissen die Psychologen ja bereits, dass die Menschen Veränderungen im Schneckentempo realisieren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })