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Film und Geschichte: Halina Szpilman (o.) und Andrzej Szpilman (u.r.) stellten sich gestern im Filmmuseum den Fragen polnischer und deutscher Schüler. Die Erlebnisse ihres Mannes Wladyslaw Szpilman wurde von Roman Polanski in Der Pianist mit Adrien Brody (u.l.) verfilmt. Kateryna Tereshchenko spielte gestern Musik von Szpilman und Chopin.

© Manfred Thomas

Von Guido Berg: Das wunderbare Überleben dank Chopin

Halina und Andrzej Szpilman berichteten vor Schülern über Wladyslaw Szpilman – den Pianisten Polanskis

Stand:

25. September 1939, 8 Uhr. Liveübertragung eines Klavierkonzerts im Polnischen Radio. Wladyslaw Szpilman spielt gerade Frédéric Chopins „Nocturne in cis-Moll“, als die ersten deutschen Bomben auf Warschau fallen. Die Fenstergläser bersten, Druckwellen schleudern die Splitter wie Geschosse durch den Aufnahmesaal. Die Sendung wird unterbrochen, Szpilman bringt sich in Sicherheit.

Roman Polanski verwendet diese Szene in seinem in Babelsberg gedrehten Meisterwerk „Der Pianist“ mit Adrien Brody in der Hauptrolle, für die der Schauspieler 2003 einen Oscar gewann. Schüler aus polnischen Gymnasien in Szeczin (Stettin) und Slubice sowie vom Potsdamer Einstein-Gymnasium und der Voltaire-Gesamtschule sahen diese Szene gestern im Filmmuseum im Vorfeld einer Podiumsdiskussion mit Halina Szpilman, der Witwe Wladyslaw Szpilmans und dem gemeinsamen Sohn Andrzej Szpilman. Vollständig hatten die Schüler Polanskis Holocaust-Drama am Vortag gesehen. Der Film hat eine Freigabe ab zwölf Jahre; eine Lehrerin berichtete, die Achtklässler waren sehr betroffen – besonders von der Szene, in der Wehrmachtsoffiziere einen Rollstuhlfahrer vom Balkon stoßen.

Niemand hat die Zeit des Nationalsozialismus so aufgearbeitet wie Roman Polanski, sagt Andrzej Szpilman, der in die Fußstapfen seines Vaters schlüpfte und ein in Polen bekannter Musiker wurde, wie die Reaktionen der begeisterten polnischen Schüler zeigten. Und niemand nach Polanski werde es noch einmal so gut machen können, denn Polanski, 1933 geboren und selbst von der Judenverfolgung betroffen, kenne wie kein anderer die polnische und die westliche Kultur gleichermaßen. Polanski habe mit „Der Pianist“, so der Sohn des realen Pianisten, „das Bilderbuch des Zweiten Weltkrieges geschaffen“. „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg dagegen sei „nicht so gelungen“.

Polanskis Film basiert auf Wladyslaw Szpilmans Erlebnissen während der Besetzung Warschaus durch die deutsche Wehrmacht. Seine gesamte Familie stirbt in den Gaskammern Treblinkas, Szpilman versteckt sich in Warschau, zwei Jahre überlebt er im Ghetto mit Hilfe von Freunden – obwohl selbst getötet wurde, wer Juden half, wie Szpilmans Frau Halina den Schülern berichtete. Sehr dramatisch sei es für ihren Mann gewesen, als der Ghettoaufstand losbrach. Auf sich gestellt, habe er sich nur von dem ernähren können, was er in den Speichern fand. Dunkel war es, kalt, sagt die Ärztin, ihr Mann habe unter Einsamkeit gelitten. Einzige Lektüre seien seine Noten gewesen. „Die Erinnerung an die Musik hat ihm das Leben gerettet.“ Schlimm war, als der deutsche Offizier Wilhelm Hosenfeld ihn fand und Wladyslaw Szpilman, halb verhungert und erschöpft, ihm auf dem Klavier vorspielen musste. Als Beweis dafür, dass er Pianist ist. Den ganzen Krieg über hat er nicht spielen können. Hosenfeld gab ihm Essen und seinen warmen Wehrmachtsmantel. „Die Herzlichkeit des deutschen Offiziers war sehr wichtig“, so Halina Szpilman. Als er nach der Befreiung Warschaus aus einer Ruine auf die Straße tritt, wird dem Pianisten der deutsche Mantel beinahe zum Verhängnis, als polnische Soldaten ihn für einen Deutschen halten. „Den ganzen Krieg überlebt und dann sterben müssen, der Freiheit in die Augen schauend“, sagt seine spätere Frau, „das war natürlich dramatisch“.

46 Kriegstagebücher hat Wladyslaw Szpilman geschrieben, als „Robinson von Warschau“ wurden sie bereits im kommunistischen Polen erstmals verfilmt. Allerdings sei die Geschichte ihres Mannes „völlig verfälscht“ worden: „Russische Stimmen von überall: ,Genossen, wir befreien Euch’“.

In der DDR erschienen drei Kapitel von Wladyslaw Szpilman in einem Buch von 1980 und der Liedermacher Wolf Biermann, der sie gelesen hatte, sollte Anteil daran haben, dass Szpilmans Erinnerungen ein Bestseller und Polanskis Film ein Welterfolg werden sollten. Mit Szpilmans Sohn Andrzej befreundet, wollte Biermann mehr davon lesen. Andrzej Szpilman bestellte bei der Übersetzerin Karin Wolf eigens eine deutsche Übersetzung für Biermann. Später erhielt die Lektorin Krista Maria Schädlich das Manuskript. Acht Monate darauf, 1998, kam das Buch heraus – Wladyslaw Szpilman „Das wunderbare Überleben – Warschauer Erinnerungen 1939-1945“. Eine Freundin Roman Polanskis sah die englische Übersetzung auf einem Flughafen und machte den Regisseur darauf aufmerksam. Polanski und Szpilman kannten sich, Szpilman, der am 6. Juli 2000 starb, gilt heute mit seinen Kompositionen als „der Gershwin Polens“. Polanski rief Szpilman an, erzählt dessen Witwe, und sagte ihm: „Das ist ein fertiges Drehbuch.“

Begleitet wurde die Begegnung im Filmmuseum durch Klaviermusik von Szpilman und Chopin, gespielt durch die Pianistin Kateryna Tereshchenko. Als der Polnische Rundfunk 1945 seinen Sendebetrieb wieder aufnahm, schickte er auch Chopin über den Äther. Das erste Stück, das die Polen nach dem Zweiten Weltkrieg im Radio hörten, war „Nocturne in cis-Moll“.

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