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Landeshauptstadt: Dem Tintenfraß entkommen

Das Fontane-Archiv hat das Manuskript von „Allerlei Glück“ des märkischen Dichters restaurieren lassen

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Noch ist der Schatz hinter Schloss und Riegel. Die Mitarbeiter des Fontane-Archivs sind geübt im Umgang mit Kostbarkeiten, doch die 91 Folioblätter eines Romanfragments des Haus- und Hofdichters der Brandenburger sind etwas ganz Besonderes. Erst am Donnerstag werden sie aus dem klimatisierten Safe im Keller der Villa Quandt hervorgeholt. Nach ihrer Restaurierung dürfen sie dann angeschaut werden – allerdings nur kurz, denn sie sind nach wie vor empfindlich, sagt Rainer Falk, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Archivs. Dass sie überhaupt im Besitz des Archivs sind, ist ein Glücksfall: Sie gelangten von Fontanes Sohn Friedrich, der die Reste des versteigerten Nachlasses verwaltete, an das 1935 gegründete Archiv. Damals umfasste das Konvolut von „Allerlei Glück“, an dem Fontane zwischen 1855 und 1879 gearbeitet hatte, 300 Seiten. Während eines Bombenschadens 1945 verbrannten vermutlich die meisten Seiten, heute sind noch 91 erhalten.

Mit finanzieller Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und zahlreicher Spender konnte jetzt die dringende Restaurierung erfolgen. Cordula Teuffert, Restauratorin aus Berlin, behandelte sämtliche Seiten. Diese wiesen Risse, Fehlstellen und Verbräunungen auf, vor allem aber Säureschäden. Papier war damals noch nicht säurefrei. Auch die Tinte wurde teils mitbehandelt, auf manchen Blättern zeigte sich erster sogenannter Tintenfraß aufgrund des Eisengehalts der Eisengallustinte. Die habe man sich damals oft selbst gemischt oder in Apotheken gekauft, für Fontane dürfte das kein Problem gewesen sein, so Teuffert.

Die restaurierten einzelnen Blätter im Format zwischen A4 und A3 können unter guten Lagerbedingungen eine Weile halten, sagt Teuffert. Die seien im Archiv gegeben: keine Klimaschwankungen, konstante niedrige Luftfeuchtigkeit, wenig Tageslicht. „Einige Seiten bleiben dennoch unter meiner regelmäßigen Beobachtung“, sagt sie.

Wissenschaftlich arbeiten kann man mit den Blättern dennoch – eingescannt sind sie digital abrufbar. Das Manuskript ist für Fontaneforscher hochinteressant. Im Unterschied zu Abschriften, die für einen Verleger gefertigt wurden, handelt es sich bei dem unvollendeten Roman um ein sogenanntes Arbeitsmanuskript. „Fontane war definitiv ein Papierarbeiter“, sagt Falk, er habe alle Gedanken zuerst aufgeschrieben und dann damit gearbeitet, Randbemerkungen zugefügt, anderes gestrichen, verändert, überarbeitet. Der komplette Text beinhaltet viele Bruchstücke, lose Gedanken, Dialoge, es ändern sich plötzlich Namen und Überschriften. „Das ist manchmal sehr verwirrend“, so Falk.

Bereits 1931 veröffentlichte der Literaturwissenschaftler Julius Petersen das Fragment. Fontane selbst fand zu Lebzeiten keinen Verleger. „Allerlei Glück“ wäre sein erster Roman geworden. Es gibt Briefe von ihm, in denen er den Roman mit Honorarvorstellungen anbietet – und Antworten mit Absagen. „Er war kaum bekannt und musste Neues schreiben, um zu verdienen“, sagt Falk, das Manuskript verschwand in der Schublade.

Einzelne Motive der Geschichte habe er allerdings in späteren Werken wieder aufgegriffen. Im Mittelpunkt steht ein junger Mann aus Brandenburg, ein Theologiestudent, der nach Berlin kommt. Dort sucht er neue Orientierung, ein Onkel will ihm pralles Leben schmackhaft machen, weiterhin verliebt er sich in eine Cousine. Die Literaturwissenschaftlerin Ulrike Tanzer aus Salzburg hat sich ebenfalls mit dem Romanfragment beschäftigt – aufgrund des eher seltenen Titels. In ihrem Buch „Fortuna, Idylle, Augenblick. Aspekte des Glücks in der Literatur“ analysiert sie Fontanes Verständnis von Glück und stellt die These auf, dass bei Fontane die Unvollendung des Romans eine Analogie zur Flüchtigkeit des Glücks und dem immerwährenden Streben danach sein könnte.

„Allerlei Glück – zu Fontanes Glückskonzeption.“ Vortrag und Präsentation mit Cordula Teuffert und Ulrike Tanzer am morgigen Donnerstag um 19 Uhr im Fontane-Archiv, Gr. Weinmeisterstr. 46/47, Eintritt 5 Euro. Anm. erb. Tel. (0331) 20 13 96.

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