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Schweres Erbe: Die Enkelin des NS-Propagandaregisseurs Veit Harlan, Jessica Jacoby, während einer kurzen Podiumsdiskussion am Sonntag im Filmmuseum. Zuvor war der Film „Jud Süß“ gezeigt worden, den ihr Großvater drehte.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Demagogisch in jedem Atom

Das Filmmuseum zeigte den NS-Propagandafilm „Jud Süß“, anschließend wurde darüber diskutiert

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Der Publizist Ralph Giordano hält ihn für die „niederträchtigste, gemeinste und raffinierteste Form von ,künstlerischem’ Antisemitismus“. Ein Propagandawerk sei es, das „in jedem Atom“ demagogisch sei, sagt der Filmhistoriker Ulrich Gregor. Gemeint ist der NS-Streifen „Jud Süß“, gedreht 1940 in den Babelsberger Filmstudios und in den Barrandov-Studios Prag. Ein Nazi-Propagandafilm, der Juden als volkszerstörerische Zersetzer in Szene setzt. Am Sonntag wurde er im Filmmuseum gezeigt.

Der Film zeichnet scheinbar das Leben des Joseph Süß Oppenheimer nach, einer historischen Person, die im Württemberg des 18. Jahrhunderts lebte. Oppenheimer, Spross einer jüdischen Kaufmannsfamilie, war Finanzberater des prunksüchtigen Herzogs Karl Alexander von Württemberg. Zugunsten seines feierwütigen Landesherrn führte er neue Abgaben in Württemberg ein. Oppenheimer, der durch Finanzgeschäfte selbst zuvor reich geworden war, zog damit den Unmut der Bevölkerung auf sich. Als der Herzog 1737 starb, nahm man Oppenheimer sogleich fest. Wegen Hochverrats, Bereicherung und sexuellen Kontakts mit einer Christin wurde Oppenheimer zum Tode verurteilt und gehenkt. Dass zuvor die Jungfräulichkeit des vierzehnjährigen Mädchens festgestellt wurde, zu dem Oppenheimer sexuellen Kontakt gehabt haben soll, konnte ihn nicht vor der Hinrichtung bewahren.

Im Propagandafilm „Jud Süß“, dessen Dreh NS-Propagandaminister Joseph Goebbels persönlich in Auftrag gegeben hatte, wird die Geschichte von Joseph Oppenheimer in den Dienst der antisemitischen Hetze gestellt. Oppenheimer ist hier der Jude, der sich mit großer Schlitzohrigkeit dem Herzog andient. Einmal als Finanzberater engagiert, berät der Jude Oppenheimer seinen Dienstherrn nur noch zum eigenen Vorteil und zum Nutzen der in Württemberg ansässigen Juden. Die Bevölkerung begehrt auf.

Der Film bedient dabei die gängigen Klischees: Oppenheimer ein hinterlistiger geldgieriger Handelsjude. Als heruntergekommen und primitiv werden die in Württemberg lebenden Juden dargestellt. „Ein ganz großer, genialer Wurf“ vermerkt Goebbels über den Film schließlich in seinem Tagebuch.

Heutzutage ist der Film in Deutschland nicht frei zugänglich. Nur in einem kommentierenden Rahmen darf er hierzulande öffentlich gezeigt werden. So wie im Filmmuseum. Der Vorführung dort schloss sich eine kurze Podiumsdiskussion an. Der bekannte Berliner Filmjournalist Knut Elstermann diskutierte mit Kennern der Filmhistorie über die propagandistische Wirkung des Films.

Unter den Podiumsgästen war die Filmjournalistin Jessica Jacoby, eine Enkelin des „Jud-Süß“-Regisseurs Veit Harlan. Ihr Großvater habe nach dem Krieg erzählt, „dass er ja eigentlich gar nichts gegen Juden hatte“, berichtete Jacoby. Auf diese Weise seien viele Täter nach dem Ende der NS-Diktatur davongekommen. Veit Harlan sei sogar zweimal von einem Richter mit Nazi-Vergangenheit freigesprochen worden. Filmhistoriker Ulrich Gregor zeigte sich ratlos ob der Massenwirkung dieses Films im Dritten Reich: „Wie können Menschen anders darauf reagieren als mit Entsetzen?“, fragte Gregor. Primitiver gehe es doch eigentlich gar nicht.

Dem widersprach Rainer Rother, künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek. Der Film, der für die SS-Manschaften zum Pflichtprogramm gehörte, sei ästhetisch „auf eine sehr kluge Weise“ gebaut. So habe er ein Massenpublikum erreichen können. Das „eigentlich erschreckende Faktum“ dieses Films, so Rother, sei, dass ihn 20 Millionen Menschen gesehen haben – viele von ihnen freiwillig. „Von diesem Film haben sich die Zuschauer ganz schwer distanzieren können“, sagte Rother. Antisemitismus als Unterhaltung habe es vor diesem Film in Dritten Reich nicht gegeben. Filmhistoriker Frank Noack meinte, trotz aller filmischen Raffinessen glaube er nicht, dass „aufrechte Menschen“ damals durch diesen Film „verdorben“ worden seien. Moderator Knut Elstermann erinnerte jedoch an ein Erlebnis von Ralph Giordano, das dieser mehrfach berichtet habe. Giordano, wegen seiner jüdischen Wurzeln unter den Nazis selbst bedroht, habe den Film damals mit einem Freund im Kino gesehen. Als die beiden aus dem Kino herausgegangen seien, habe Giordanos Freund gesagt, es müsse ja wohl doch „etwas dran sein“ an den Vorwürfen, die man gegenüber den Juden erhebe.

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