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Landeshauptstadt: Den Knoten lösen

Die Grundschule „Am Priesterweg“ bietet Hilfe und Beratung für begabte Kinder an

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Das letzte Zeugnis brachte das Fass zum Überlaufen: eine Drei im Lesen und Schreiben, auch in Sachkunde und Musik. Dabei steckt Alex voller guter Einfälle, schreibt fantasievolle Aufsätze, interessiert sich für Geschichte. Nur in seiner Schule, einer Grundschule im Brandenburgischen, scheint das niemand zu merken. Dort ist Alex ein Problem. Er stört, ruft dazwischen, schwatzt, nörgelt und schafft es, eine ganze Unterrichtsstunde zu sprengen. Die Lehrer quittierten das mit zwei Vieren im Sozialverhalten. Daneben aber steht eine stolze Eins in Mathematik. Ein Widerspruch?

Das hier etwas nicht stimmen kann, ahnte seine Mutter schon länger. Sie stellte ihren Sohn einem Psychologen vor, ließ seine Intelligenz testen. Das Ergebnis überraschte sie nicht. Alex ist unterfordert, er langweilt sich. Oft so sehr, dass er darüber böse und bockig wird.

Rat suchend wandte sich seine Mutter an Elvira Eichelbaum. Die Leiterin der Potsdamer Grundschule „Am Priesterweg“ hat sich auf die Förderung von Begabten spezialisiert und baut in ihrer Schule die erste und vorerst einzige Beratungsstelle für begabte Kita- und Grundschulkinder in Brandenburg auf.

Beim ersten Beratungstermin mit dem zehnjährigen Alex wirkt die Mutter erschöpft, traurig, auch wütend. Die ewigen Beschwerden und Vorwürfe nagen an ihr. Ein Mitteilungsheft pro Schuljahr reichte oft nicht aus für die immer schärfer drohenden Einträge der Lehrer. Angst hat sie, dass sich der Junge völlig von der Schule abwendet, einfach nicht mehr hingeht, ausbricht aus dem Kreislauf von schlechtem Betragen und schlechten Noten. Ein Bündel von Problemen, das sich für sie unlösbar verknotet hat.

Elvira Eichelbaum und ihre Kollegin Katrin Birnbach versuchen im Gespräch den Anfang des Fadens zu finden, mit dem sich das Knäuel langsam entwirren lässt. Alex soll selbst erzählen, wann genau er sich langweilt und wo er sich ungerecht behandelt fühlt. In Mathe, sagt er, werde alles fünfmal erklärt. Und wenn einer seiner Mitschüler anfängt eine Frage zu stellen, würden die anderen plötzlich auch nachfragen und dann ginge es überhaupt nicht voran. Während Alex spricht, spielen seine Hände mit den Muscheln in einer Schale in der Mitte des Tisches. Einen Moment schaut er hoch. In der Parallelklasse, beschwert er sich, seien sie schon viel weiter. Alex weiß das so genau, weil er dorthin schon manche Stunde „strafversetzt“ wurde, immer dann, wenn die Situation in der eigenen Klasse eskalierte und Alex als Störenfried ausgemacht wurde. Ausschluss als Strafe – das ist ihm vertraut, ob bei Ausflügen oder im Schulchor. Selbst zur Matheolympiade wurde er nicht zugelassen, dort, wo er vielleicht hätte zeigen können, was tatsächlich in ihm steckt. Immer stand sein Betragen im Wege.

„Oftmals reagieren Lehrer zuerst auf das Verhalten“, weiß Katrin Birnbach. Das aber sollte sich nicht in der Bewertung einer Leistung widerspiegeln. Um beides getrennt voneinander betrachten zu können, empfiehlt sie Alex ein Portfolio anzulegen, in dem er all das sammeln soll, was ihm besonders gelungen ist: gute Klassenarbeiten, gelöste Knobelaufgaben, Geschichten, die er geschrieben hat, und seine besten Zeichnungen. Erfahrungen in der eigenen Schule zeigten, dass sich so die Lernentwicklung und die Stärken jedes Kindes besser beurteilen lassen, so Elvira Eichelbaum.

Sensibilisiert für die Begabtenförderung wurden die Lehrer der Grundschule „Am Priesterweg“, als sie in einem von der Universität Potsdam initiierten Internet-Projekt beobachten konnten, wie Schüler der zweiten Klasse mühelos Aufgaben der vierten Klasse lösten. Den Anstoß für die intensive Beschäftigung mit dem Thema aber gab ein Fünftklässler, dessen Schulprobleme sich in Luft auflösten, als er regelmäßig einen Tag in der Woche das Humboldt-Gymnasium besuchen durfte.

Aus diesem Kontakt entwickelte sich eine anhaltende Kooperation mit dem Begabtenstützpunkt des Potsdamer Gymnasiums. Inzwischen spezialisieren sich vier Lehrer der Grundschule in einer berufsbegleitenden Fortbildung am Landesinstitut für Schule und Medien in Ludwigsfelde auf das Erkennen und Fördern von Begabungen. Seit diesem Schuljahr führen sie erste Beratungsgespräche, bald auch in einem dafür extra ausgestatteten Raum. Lehrer und Erzieher, Eltern und Schüler aus dem gesamten Schulamtsbereich Brandenburg/Havel sollen sich hier umfassend informieren können, wie sich Begabungen am besten fördern lassen, nicht nur in den dafür vorgesehenen Gymnasien, sondern auch innerhalb der normalen Grundschulzeit.

„So selbstverständlich, wie jedes Kind mit Lese-Rechtschreib-Schwäche oder einer Sprachstörung die nötige Unterstützung erhält, so haben auch begabte Kinder ein Recht auf Förderung“, sagt Elvira Eichelbaum und kritisiert, dass hierfür derzeit weder genügend Personal noch entsprechende Materialien bereit stünden. Dennoch hat sie in ihrer Schule Leistungsgruppen eingerichtet und mit der individuellen Förderung begonnen. Und wie geht es mit Alex weiter?

Seine Mutter sieht die Situation verfahren, möchte das Kind am liebsten auf eine andere Schule schicken. Elvira Eichelbaum und Katrin Birnbach aber erteilen keine Ratschläge, sondern zeigen die unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten auf. Zu prüfen wäre, ob Alex in die Parallelklasse wechseln und mit Beginn des Fachunterrichts in der fünften Klasse stärker gefördert werden kann. Ein Schulwechsel ist sinnvoll, wenn das Kind tatsächlich einen Neustart braucht, befreit vom Ballast jahrelanger negativer Erfahrungen. Auch eine Leistungs- und Begabtenklasse am Gymnasium kann für Alex – trotz der schlechten Noten – der richtige Platz sein. Weitere Tests wären dann vonnöten. Wichtig sei, dass der Junge aufhöre sich zu langweilen, dass er genügend Anreize bekomme und knifflige Aufgaben, die seine Konzentration fesseln ...

Welchen Weg Alex auch einschlägt, er und seine Mutter können sich von den Lehrern im Begabtenstützpunkt weiter begleiten lassen und ihre Hilfe in Anspruch nehmen – so lange, bis sie den so fest gezogenen Knoten ihres Problems gelöst haben. (Name des Kindes geändert)

Begabtenstützpunkt im Schulamtsbereich Brandenburg/Havel am Humboldt-Gymnasium Potsdam, Heinrich- Mann-Allee 103, Tel. 0331/289 78 70Außenstelle für begabte Kinder im Vor- und Grundschulbereich an der Grundschule „Am Priesterweg“ Potsdam, Oskar- Meßter-Str. 4-6, Tel. 0331/289 75 00

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