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Homepage: „Den Mittelweg finden“

Ernährungsexpertin Christiana Gerbracht über Diäten, schlechte Kohlenhydrate, gutes Brot und die Sonne „Ab und zu kann man auch mal über die Stränge schlagen“

Stand:

Frau Gerbracht, was haben Sie nach den Feiertagen gemacht?

Was meinen Sie?

Viele Menschen sehen den Jahresanfang als Zeit der guten Vorsätze, etwa auch um ein paar Pfunde wieder loszuwerden. Zeit für eine Diät also?

Nicht unbedingt. Ich habe meine Ernährung einfach wieder in den alten Rhythmus von vorher umgestellt. Wenn in einer Phase mehr Kalorien, Zucker, Fett oder Alkohol als normal konsumiert wurden, empfiehlt es sich, danach einfach zu den alten Gewohnheiten, mit denen man sich wohlgefühlt hat, zurückzukehren. Dann kann man gelegentlich auch mal über die Stränge schlagen. Denn eine Zunahme des Körpergewichts findet nicht über kurze Phasen, sondern durch kontinuierliche übermäßige Ernährung über das ganze Jahr statt.

Mittlerweile gilt die kohlenhydratreiche Ernährung der Industriegesellschaften als wichtiger Auslöser für Übergewicht. Sollte man Kohlenhydrate im Speiseplan tatsächlich reduzieren?

Die Lebensmittelindustrie produziert immer mehr Lebensmittel, in denen Kohlenhydrate versteckt eingearbeitet sind. Zum Beispiel sind Müslis heute oft stark mit Zucker angereichert. Wenn man sich das selbst mischen würde, gehört eigentlich kein Süßungsmitteln hinein. Das Gleiche gilt beispielsweise für Joghurts, auch die sind heute stark mit Zucker gesüßt. Vor allem wenn der Fettgehalt reduziert ist, das soll der süße Geschmack dann kompensieren. Der Mensch ist eben so veranlagt, dass er süße Speisen bevorzugt.

Also weniger Zucker?

Ja, Müslis und Joghurt kann man auch mit Obst mischen und erhält so einen süßen Geschmack. Eine kohlenhydratarme Kost eignet sich auch zum Abnehmen. Das liegt vorwiegend an der Einsparung der Kilokalorien, wenn man auf Brot, Nudeln, oder Kartoffeln und mit Zucker gesüßte Lebensmittel verzichtet.

Und wenn man das durch Eiweiß und Fett ersetzt, wie es Steinzeit- und Low-Carb-Diäten verlangen?

Wir haben eine Studie, die zeigt, dass mit einer kohlenhydratärmeren Kost das Gewicht reduziert werden kann. Aber so lässt sich der Geschmack von kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln eben nicht kompensieren. Wer will schon nachmittags, wenn er Appetit auf ein Stück Kuchen hat, ein Steak essen? Die Reduktion aller Kohlenhydrate hat zudem auch einen unerwünschten Nebeneffekt. Meistens wird zuerst auf Brot verzichtet. Dadurch fehlen dann aber auch andere Inhaltstoffe, zum Beispiel die Ballaststoffe. Diese Stoffe haben im Körper jedoch wichtige Aufgaben, etwa für die Verdauung, aber auch zur Prävention von Diabetes. Auch erzeugen die Ballaststoffe ein Sättigungsgefühl.

Was läuft bei solchen Diäten falsch?

Vielen ist gar nicht bewusst, dass bei einer kohlenhydratarmen Ernährung auch das Bier gestrichen werden muss. Meist reduzieren die Menschen die kohlenhydrathaltigen Grundnahrungsmittel wie Brot und Kartoffeln. Das ist nicht günstig. Der Brotverzehr ist selten zu hoch. Viel wichtiger ist es, die Menge an kohlenhydrathaltigen „Luxuslebensmitteln“ zu verringern, also weniger Schokolade, Kuchen oder Bier.

Wie lange sollte man die Ernährung auf weniger Kohlenhydrate umstellen?

Strenge Diäten würde ich nur für eine kurze Zeit empfehlen. Wichtiger ist, dem Essverhalten ein Mittelmaß zu geben. Das Schwanken zwischen Übermaß und Abstinenz ist ungünstig. Es geht nicht darum, in den ersten drei Wochen des Jahres zehn Kilo abzunehmen, um danach das reduzierte Gewicht nicht halten zu können. Ziel sollte eine dauerhafte Veränderung der Ernährung sein. Man muss einen Mittelweg finden.

Gibt es gute und böse Kohlenhydrate?

Man muss sich nicht wegen eines Weißmehlbrötchens oder eines gezuckerten Getränks Sorgen machen. Grundsätzlich ist es aber wichtig, mit welchen Inhaltsstoffen die Kohlenhydrate im Lebensmittel vorkommen. Und da ist ein Vollkornbrötchen eben durch viele Vitamine, Ballast- und Mineralstoffe wesentlich besser als ein weißes Brötchen. Richtiges Vollkornbrot muss auch viel besser gekaut werden. Die Essgeschwindigkeit wird dadurch verlangsamt und man isst so weniger, um satt zu werden. Weißbrot kann man in größeren Mengen schnell essen. Ich weiß nicht, was Sie zum Frühstück essen?

Toastbrot.

Sehen Sie, von einer Scheibe Toastbrot wird man nicht satt. Deshalb isst man mehr davon und dadurch auch mehr Belag. Eine echte Scheibe Vollkornbrot – Korn an Korn – ist da schon ganz was anderes. Auch Vollkorntoast kommt da nicht heran. Die Mode der schnellen, unkomplizierten Mahlzeiten, möglichst noch unterwegs oder bei der Arbeit, das ist ein nicht optimales Ernährungsverhalten.

Ihre Kollegen haben herausgefunden, dass vor allem Bauchfett ungesund ist. Wie wird man das wieder los?

Das Bauchfett ist nicht nur ein sinnloser Speicher, sonder es produziert auch Stoffe, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Einerseits sollte man die Ernährung ein wenig umstellen, auf der anderen Seite aber auch die Bewegung steigern. Der Energieverbrauch kann so etwas erhöht werden und die Muskelmasse bleibt erhalten oder kann sogar noch weiter aufgebaut werden. Das ist optimal aus gesundheitlichen und aus ästhetischen Gründen.

Verschiedene Ernährungsstudien ergeben ein paradoxes Bild. Einerseits heißt es, Übergewicht sei falsch, andererseits soll auch Schlanksein ein Risikofaktor sein.

Es ist schwierig, dazu eine allgemeingültige Aussage zu treffen. Aber auch hier gilt, dass das Mittelmaß am besten ist. Wenn man, gerade im Alter, zu dünn ist, ist man bei schwerwiegenden Erkrankungen weniger widerstandsfähig. Auf der anderen Seite bleibt natürlich richtig, dass Übergewicht viel eher Krankheiten wie Diabetes Typ 2 sowie Herz-Kreislauferkrankungen befördert. Auch werden die Knochen auf Dauer durch Übergewicht extrem belastet. Das ist gerade im Alter problematisch.

Wie sieht es mit dem Frühstück aus? Neue Studien besagen, dass ohne Frühstück das Herz-Kreislauf-Risiko steigt.

Das ist sehr individuell. Manch einer hat vor zehn Uhr keinen Appetit. Der sollte sich dann auch nicht zwingen. Es geht in erster Linie darum, wie viel man über den Tag verteilt zu sich nimmt. Jeder sollte seine drei, vier Mahlzeiten individuell über den Tag verteilen. Sehr wichtig ist es, auf die Signale seines Körpers – in diesem Fall das Hungergefühl – zu achten. Der Körper gibt an, wann er was braucht. Daher ist auch das Verschieben von Mahlzeiten, wenn man Hunger hat, nicht günstig.

Also darf man auch nach 18 Uhr noch etwas essen?!

Natürlich. Wer länger als 18 Uhr arbeitet, kommt ohnehin zuvor kaum zu einer Mahlzeit. Man sollte das Essen immer auch mit Gemüse kombinieren, weil das schneller satt macht und die aufgenommene Energiemenge niedriger ist. Wichtig ist nur, dass man die Mahlzeit nicht ausgehungert zu sich nimmt, egal um welche Uhrzeit. Denn dann merkt man das Sättigungsgefühl nicht mehr, der Körper ist in einem Notmodus und verlangt ganz schnell ganz viel. Wer regelmäßig Mahlzeiten eingenommen hat, kann ruhiger abwägen, was er essen will. Bei Heißhunger geht das nicht mehr.

Vor rotem Fleisch wurde bislang gewarnt. Nun sagen neue Untersuchungen, dass zumindest kein erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko bestehe.

Ich würde eher die Menge an verzehrtem Fleisch an sich infrage stellen. Wir müssen nicht so viel Fleisch essen. Es wird bei uns nur so viel gegessen, weil der Preis niedrig ist. Würden wir nachhaltig und artgerecht produziertes Fleisch kaufen, würden wir auch weniger davon essen – wegen des höheren Preises. Empfohlen werden heute 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche. Das ist schon recht wenig.

Ein Wort zum Winter: Die körpereigenen Depots an Vitamin D, das für die Knochen und das Immunsystem wichtig ist, sind bei einigen Menschen in unseren Breitengraden schon im Dezember leer. Kann man das durch Nahrungsmittel kompensieren?

Nein, das ist nicht möglich. Auch wenn man viele Nahrungsmittel mit höherem Vitamin-D-Gehalt wie Hering, Lachs oder Pilze isst. Hier braucht der Körper die Menge, die durch die UVB-Strahlung der Sonne in der Haut gebildet wird. Mit Vitamin-Tabletten wäre ich allerdings sehr vorsichtig, man sollte sich beim Arzt seinen Vitamin-D-Status ermitteln lassen, bevor man Präparate einnimmt. Ab März ist dann wieder Bewegung an der frischen Luft wichtig, dann reicht das Sonnenlicht wieder aus, um Vitamin D zu bilden. Und bewegen sollte man sich ohnehin das ganze Jahr über.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Christiana Gerbracht (52) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin

in der Abteilung

Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (Dife) in

Bergholz-Rehbrücke.

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