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Landeshauptstadt: Der 60-Prozent-Durchmarsch

SPD-Genossen sehen den Anfang vom Ende der Ära Scharfenberg / Linke kündigen Umbrüche an

Stand:

Potsdams SPD-Genossen wollen ihren Augen kaum trauen. Die Stimmauszählung der Stichwahl läuft, und ihr Kandidat Jann Jakobs holt einen Potsdamer Stadtteil nach dem anderen: In der südlichen Innenstadt, im Zentrum Ost, vor zwei Wochen noch unangefochtene Hochburg des Linke-Konkurrenten Hans-Jürgen Scharfenberg, hat Jakobs jetzt die Mehrheit der Potsdamer hinter sich. Zumindest jener, die zur Wahl gegangen sind. Genauso in der Waldstadt I, Plattenbauviertel, eine große Linke-Stammwählerschaft. Doch diesmal liegt die SPD, liegt Jakobs vorn. Mit jedem ausgezählten Wahllokal wird die Freude lauter. „Das ist das Ende der Ära Scharfenberg“, wird im „Café Hundertwasser“ im Potsdamer Logenhaus geraunt – dort feiert die SPD, auf parteineutralem Terrain, aus Rücksicht auf die Rathaus-Kooperationspartner von CDU, Bündnisgrünen und FDP. „Willkommen in der Hochburg der SPD“, ruft Thomas Kuster, ein Urgestein der Potsdamer SPD, in die Menge, während das Klatschen und Pfeifen über den Sieg einsetzt.

Im Freudentaumel über das 60-Prozent-Ergebnis ihres wieder gewählten Oberbürgermeisters mischt sich bei den Sozialdemokraten Überraschung mit Realitätssinn. Zu glauben, dass alle Jakobs-Stimmen SPD-Wähler seien, wäre vermessen, sagt der Unterbezirks- und Fraktionschef Mike Schubert.

8010 Stimmen hat Jakobs gewonnen im Vergleich zum ersten Wahldurchgang vor zwei Wochen, Scharfenberg nur 1604 – obwohl es statt fünf nur zwei Kandidaten gab. Dass es eine Niederlage geben würde, muss der Potsdamer Linken zum Ende des Wahlkampfs klar geworden sein. Auf eine Wahlparty hatte die Partei, in Potsdam eigentlich eine Hausmacht, anders als vor zwei Wochen sicherheitshalber verzichtet. Stattdessen trafen sich die Genossen im Stadthaus an der Friedrich-Ebert-Straße. Während dort im Plenarsaal dem neuen und alten Oberbürgermeister applaudiert wird, gönnt sich Scharfenbergs Wahlkampf-Stratege Sascha Krämer im Erdgeschoss einen ruhigen Moment. „Es wird und muss einen Umbruch in der Partei geben“, kündigt er an. Wenig mehr als 20 Prozent Wahlbeteiligung im Wohngebiet Am Schlaatz, eigentlich eine linke Hochburg, das ist „ein Debakel“, so Krämer. Und weiter: „Wir heulen jetzt zwei Tage und ab dann muss ein sanfter Umbruch eingeleitet werden.“ Bis zur Kommunalwahl 2014 „müssen junge Leute aufgebaut werden“. Krämer: „Eine Niederlage hat auch etwas Reinigendes.“

Scharfenberg selbst zeigt sich vor den Kameras als fairer Verlierer, er gratuliert Jakobs, betont, dass er nicht enttäuscht sei. Dafür macht er Forderungen auf: Die Linke dürfe nicht mehr ausgegrenzt werden im Stadtparlament. Es müsse, wenn nicht Rot-Rot, dann ein großes Bündnis für Potsdam geben. Beides lehnt Jakobs noch am Abend ab.

Ein Grund mehr für Unruhe im Lager der Linken. Manche erinnern sich an eine Sitzung des Kreisvorstands vor einem Jahr, als ernsthaft erwogen worden sein soll, Scharfenberg nicht aufzustellen – auch wegen seiner Stasi-Verstrickungen. Die haben, so scheint es, jetzt die Wähler für Jakobs motiviert. Ein Indiz: In der Berliner Vorstadt, gerade in Aufruhr wegen des geplanten Bootshafens an der Matrosenstation Kongsnaes, wählten 80 Prozent den SPD-Amtsinhaber.

Dass die Rathaus-Kooperation funktioniert, wird am Abend im Logenhaus deutlich: CDU-Kreischefin Katherina Reiche ist genauso da wie die Oberbürgermeister-Kandidatin der Grünen, Marie Luise von Halem und FDP-Mann Marcel Yon. Ein Signal an Scharfenberg, aber auch an die rot-rote Landesregierung. Ein SPD-Linke-Bündnis wird es in Potsdam nicht geben, zumindest bis zur nächsten Kommunalwahl in drei Jahren. CDU-Chefin Reiche sagt: „Wir erwarten, dass die Rathaus-Kooperation ihre Arbeit zum Wohl der Potsdamer fortsetzt."

Scharfenberg, in politischer Strategie versiert, hat sich auf die Niederlage vorbereitet. In die Kameras und Mikrophone im Stadthaus sagt er: „Es wird in Potsdam nichts mehr so sein wie vor dieser Wahl.“ G. Berg / J. Brunzlow / K. Grimmer

/ H. Kramer / S. Schicketanz

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