Homepage: Der Abbau Ost
Demontage nach dem Krieg wird erforscht
Stand:
Es war keine verkappte Modernisierung, die in den Betrieben der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nach 1945 stattgefunden hat. Die Industrieanlagen Ostdeutschlands wurden abgebaut, aber Ersatz gab es nicht, wie der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch feststellt. Eine Erneuerung fand nicht statt, ganze Industriezweige wurden lahmgelegt.
Lange war ungewiss, wie groß der Schaden war, der durch Demontagen in der SBZ stattgefunden hat. Nun versucht ein ausführliches Inventar, den Umfang der Demontagen in der Zeit von 1945 bis 1948 darzustellen. Am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam stellten die Herausgeber Klaus Neitmann und Jochen Laufer das Buch zusammen mit dem Bearbeiter Klaus-Jochen Arnold und dem Wirtschafthistoriker Rainer Karlsch vor.
Anstoß für die Erstellung des Invertars war der Fund einer ungewöhnlichen Quelle im Jahr 1997. Jochen Laufer vom Zentrum für Zeithistorische Forschung entdeckte 1997 im Bestand des Chefs der Zentralen Statistischen Verwaltung der UdSSR in Moskau eine „Liste der demontierten und in die UdSSR aus der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland abtransportierten Betriebe“. Die Direktorin des Wirtschaftsarchivs der Russischen Föderation, Elena Tjurina, wies jedoch sogleich darauf hin, dass eine unmittelbare Veröffentlichung der Liste wohl nicht sinnvoll sei. Denn darin gebe es keine Angaben darüber, wie viele demontierte Maschinen und Gerätschaften tatsächlich in der Sowjetunion eingetroffen seien.
Bis zur Entdeckung der Liste herrschte der Eindruck vor, es bestehe völlige Unklarheit über den Umfang der Demontagen. Es zeigte sich dann aber, dass der Fund erst den Ausgangspunkt für die weitere Forschung liefern würde. Mehr als zehn Jahre später begann nun die systematische Erforschung der Angaben in deutschen Archiven. Hierzu sichteten die Autoren Aktenbestände, die in den Landeshauptarchiven der neuen Bundesländer von Potsdam über Dresden bis Schwerin aufbewahrt werden. Der sowjetischen Besatzungsmacht sei wenig daran gelegen gewesen, den Deutschen ein umfassendes Bild über den Abbau zu vermitteln, schreiben die Herausgeber. Die Herausforderung bestand darin, aus Akten Informationen über die Demontagen herauszulesen. Denn die Beschriftung wies selten auf den Abbau im Osten hin. In einer Notiz zum Seefliegerhorst Pötenitz finden sich beispielsweise Hinweise darauf, dass der Antransport der Arbeiter für die Demontage unter Gewaltandrohung erfolgt sei und Unruhe in Schöneberg ausgelöst habe. Im Zusammenhang mit einem Demontageeinsatz in Stern-Buchholz sind „Beschwerden von Arbeiterinnen über versuchte Vergewaltigungen“ aufgeführt.
Klarheit bringt das Inventar darüber, dass in weit größerem Unfang Betriebe abgebaut wurden als gelegentlich vermutet. Bisher ging man von rund 700 demontierten Betrieben aus, nun ist klar, dass es mindestes 3500 waren. Der ostdeutschen Wirtschaft wurde dadurch ein schwerer Schlag zugefügt. „Wir wissen jedoch nicht, wie weit die Demontagen zum Untergang der DDR beigetragen haben“, so Klaus Neitmann, Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs. Einig sind sich die Historiker darin, dass die Flucht von Betrieben aus der SBZ aufgrund der Besatzung mindestens genauso verheerend gewirkt hat wie die sowjetischen Demontagen. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: