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Am 19. September wählt Potsdam einen neuen Oberbürgermeister. Sieben Männer und Frauen bewerben sich um das Amt. Was macht sie und ihre Politik aus? Was wollen sie in der Landeshauptstadt bewegen? Heute: JANN JAKOBS, SPD (Folge 6) Von einem: der auszog

Waterloo. Dieses Wort liegt in der Luft, als Jann Jakobs am Ufer des Griebnitzsees für die Fotografen posiert.

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Waterloo. Dieses Wort liegt in der Luft, als Jann Jakobs am Ufer des Griebnitzsees für die Fotografen posiert. Die Miene ernst, der Trenchcoat offen, neben ihm ein „Freies Ufer“-Plakat. Freilich, es ist noch nicht entschieden, ob dieser See einmal gleichbedeutend sein wird mit der totalen politischen Niederlage für den amtierenden Oberbürgermeister. Doch schon lange ist der Griebnitzsee eben Synonym für vieles, was nicht stimmt in Potsdam. Griebnitzsee, das ist Jakobs’ Bürde, er trägt mitunter schwer daran.

Wie diesen Donnerstagmittag. Seine Laune, daran gibt es nichts zu deuteln, ist miserabel. Kein Scherz am Rande, keine Anekdote seiner mannigfaltigen Begegnungen, mit denen Jakobs den Alltag sonst spickt, über die er sich manchmal selbst am meisten amüsiert. Heute ist kein Tag für Witze. Hasso Plattner, Potsdams wichtigster Mäzen neben Günther Jauch, hat gerade erklärt, dass er die Stadt verklagt. Er fühle sich ungleich behandelt. Es geht um ein Bootshaus am Griebnitzsee. Der Oberbürgermeister wirkt zerknirscht. Auch machtlos. Wie so oft an diesem See.

Was Jakobs betrifft, macht der Fall Griebnitzsee manches offensichtlich. Seine manifeste Sturheit, die stoische Beharrlichkeit, und eine Haltung, die sich nicht leicht orten lässt: Ist es politischer Gutglaube, der auf der Überzeugung einer zu guter Letzt gerechten Republik fußt, oder doch nur Nachlässigkeit, die es am Ufer soweit kommen ließ? Sicher, er ist nicht allein schuld daran. Jahrelang scherten sich Jakobs’ Vorgänger nicht um den Griebnitzsee. Vielleicht wollten sie mit dem vorhersehbaren Streit nichts zu tun haben. Jakobs hatte, so gesehen, zunächst keine Wahl.

Das kennt er zu genüge. Gefügt hat er sich dem meist nicht. Jakobs’ Biographie ist eine Art Gerhard-Schröder-Lebenslauf im Kleinen, sieht man einmal vom Rütteln am Tor zur Macht ab. Jakobs stammt aus dem ostfriesischen Eilsum, einer armen Gegend, der Vater war Schmied auf der Werft, er saß für die SPD im Gemeinderat, war bei der Feuerwehr und anerkannt im Dorf. „Er hat mein Bild geprägt.“ So sehr, dass für ihn eine Alternative zur Sozialdemokratie nie existierte, es eine Selbstverständlichkeit war, sich einzumischen. „Oberbürgermeister in Potsdam zu sein“, sagt Jakobs, „das ist mir sicher nicht in die Wiege gelegt“. Aber wäre er in der Heimat geblieben, „würde ich heute mindestens im Gemeinderat sitzen, oder ich wäre Bürgermeister der Gemeinde Krummhörn“.

Dass Jann Jakobs, ältestes von acht Kindern, daheim auf dem Feld arbeiten musste, jeden Samstag Mist schichtete, das lässt er zur Wahl auch die Potsdamer wissen. „Jann Jakobs privat“ heißt die bunte Broschüre, die dieser Tage neben den Versprechen für eine Familien-Stadt, sanierte Schulen und Kitas, bezahlbare Wohnungen, mehr Klimaschutz an den SPD-Ständen liegt. Eigentlich weiß man in Potsdam, wo er nun schon acht Jahre regiert, ziemlich wenig über ihn: Schwarz-weiße Fotos zeigen den Rathauschef als Schuljungen, mit einer der kleinen Schwestern an der Hand, beim Fußball als Vorstopper. Auf einem Bild aus jüngerer Zeit ist die ostfriesische Großfamilie zu sehen, Babys werden auf dem Arm gehalten, Kinder tollen herum. Jann Jakobs steht ganz rechts, als einziger trägt er Anzug, es wirkt, als empfinge er eine besonders lebhafte Rathaus-Besuchsdelegation. Das Foto entstand bei einem Geburtstag seiner Mutter, sagt er. Dass es eine andere Welt ist, aus der er mittlerweile in seine Heimat kommt, bleibt unübersehbar: „Mein Job, das ist für meine Familie so was von exotisch, darüber wird gar nicht geredet.“

Was am Griebnitzsee vielleicht ein Nachteil ist, erweist sich andernmal als Vorteil: Jann Jakobs ist festgelegt statt flexibel. Er kann, einmal entschieden, nur schwer aus seiner Haut. Dass Eilsum, Ostfriesland, ihm zu eng werden würde, wusste er schon als Junge. Mit 15 ging er in die Flugzeugbauer-Lehre, 150 Kilometer weit entfernt vom Dorf. Biographien seien damals vorgezeichnet gewesen, zur weiterführenden Schule gingen nur die Kinder der Pfarrer, reicher Bauern, der Lehrer. Die anderen konnten sich den Unterhalt für ihre Sprösslinge nicht länger leisten, sagt Jakobs. Er nahm den zweiten Bildungsweg. Machte die Mittlere Reife nach, ließ sich zum Erzieher ausbilden, weil es 1968 politisch kaum erträglich schien, für einen Flugzeugbauer, im „Rüstungsbetrieb“ zu arbeiten, wurde Sozialarbeiter, studierte schließlich Soziologie und Politik, zuletzt in Berlin. Dort gründete er auch seine Familie. Von Ostfriesland geblieben ist ihm ein Verhältnis zur Natur. „Ich muss immer ein Stück freien Himmel haben.“ Und dieser Freiheitsdrang. Wenn er „die Faxen dicke“ habe, setze er sich ins Auto, fahre in die Kurfürstenstraße. Die in Berlin, wohlgemerkt. Da setze er sich ins Café. Wo ihn keiner kennt. In Potsdam muss er nur den Fuß vor die Tür des gemieteten Alexandrowka-Denkmals setzen, dann grüßt ihn fast jeder.

Ob sie in Eilsum große Augen gemacht haben, an diesem Mittwochabend? Sanssouci eine Festung, Bundeskanzlerin Merkel drückt dem Mohammed-Karikaturisten Westergaard die Hand, Jakobs gehört zum Quintett der Offiziellen. Er begrüßt Westergaard, auf dessen Kopf Islamisten elf Millionen Dollar ausgesetzt haben, sitzt im Raffaelsaal neben der Kanzlerin. Ein wenig erinnern die Fotos an das ostfriesische Familienbild, nur dass diesmal die anderen aus der anderen Welt kommen. Was ihn am meisten beeindruckt hat? Der Westergaard, sagt Jakobs, sei ein ganz normaler Mann, ein Lehrer für behinderte Kinder, der zeichnete.

Die Entscheidung, noch einmal zur Wahl des Oberbürgermeisters anzutreten, sei keine Selbstverständlichkeit gewesen. Er habe „hin und her überlegt“. Immerhin habe er beim ersten Mal gesagt, „ich mache es für acht Jahre, dann kommt etwas anderes“. Werden es 16 Jahre? Es seien so viele Dinge angeschoben, aber nicht fertig, sagt Jakobs. Der „innere Kompass“ müsse die Richtung zeigen, jenseits politischer Zwänge: „Ich halte mich nicht für unersetzbar.“

In der Verwaltung hat Jakobs schon einige ersetzt. Er kam 1993 als Jugendamtsleiter, wurde Beigeordneter für Soziales, Ordnung und Umwelt und nach nur neun Jahren Nachfolger von Matthias Platzeck als Oberbürgermeister. „Ich habe vorher keinen einfachen Job gemacht, ich habe ihn sehr gut gemacht, doch das war nicht mein Plan.“ Nach acht Jahren Beigeordneter zu sein, das hätte er sich vorstellen können. Noch immer findet Jakobs „Fachpolitik inhaltlich wesentlich ambitionierter“, klingen seine Reden oft verwaltungstechnokratisch. Als Oberbürgermeister „allen das Gefühl zu geben, sie haben mitgewirkt, das fällt mir manchmal verdammt schwer“. Was sich, selbst im Wahlkampf, kaum übersehen lässt, Stadtverordnete oder Bürger in Rage bringt. Da erscheint das Verhältnis zu seinem Dauerkonkurrenten von der Linken, Hans-Jürgen Scharfenberg, sogar harmonisch. „Ich respektiere ihn als Person, er hat seine Verdienste erworben“, sagt Jakobs. Das Duell beflügelt seinen Witz. Die Rollenverteilung könne ruhig so bleiben: „Ich habe den Eindruck, Scharfenberg ist damit durchaus zufrieden.“ Jakobs Humor ist nicht unterzukriegen.

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