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Thomas Heise hält Antrittsvorlesung an der HFF
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Es hat Thomas Heise nicht geschadet, dass er keinen Studienabschluss der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf (HFF) vorweisen kann. Auf eigenen Wunsch wurde er 1982 exmatrikuliert. Nun hat sie den ehemaligen Revoluzzer und bekannten Dokumentarfilmer zum Honorarprofessor ernannt.
Als einst die Hochschule Heises Filmmaterial wegen dessen missliebiger politischer Haltung zerstörte, erkannte er: „Ich hätte keinen Abschlussfilm drehen können.“ Ein Fluchtversuch aus der DDR war bereits gescheitert. Das Land zu verlassen, daran dachte Heise aber nicht mehr: „Ich wollte schauen, was aus der DDR wird.“ Nun habe sich erwiesen, dass ein Dokumentarfilm im Zweifel länger seine Relevanz behalte als der Staat, in dem er entsteht, so Heise.
Der 58-jährige Ostberliner Sohn eines Philosophieprofessors schloss zunächst eine Facharbeiterlehre ab und arbeitete als Regieassistent bei den Defa Studios, um anschließend ein Studium an der HFF zu beginnen. Sein Interesse am Dokumentarischen und an der Recherche und Dokumentation von fremden Leben hatte er schon zuvor entdeckt.
Begleitet von einem Tonband, das er in seiner Antrittsvorlesung unkommentiert abspielt, interviewte Heise 1976 den Berliner Arbeiter Willie, der von seiner freudlosen Kindheit erzählt: von Schlägen des Stiefvaters, Heim- und Knastaufenthalten, Kleinkriminalität. Es wird deutlich, dass der Dokumentarist es seit Anbeginn geschafft hat, einer ihm fremden Person so nahe zu kommen, dass diese auch wenig schmeichelhafte Dinge aus dem eigenen Leben preisgibt und so ein bemerkenswertes Zeitdokument ermöglicht. „Mit Ton und Kamera lernte ich schon früh Geschichten kennen, mit denen man sonst nichts zu tun hat“, bekennt Heise. Der geschasste Filmemacher realisierte zunächst Rundfunkfeatures, später auch Dokumentarfilme und Regiearbeiten am Berliner Ensemble.
In seinem aktuellen Projekt widmet sich Heise den Gefangenen in einem Knast in Mexiko. Mehr als ein Jahr hat er in der mexikanischen Hauptstadt zugebracht, mit den Insassen Weihnachten gefeiert, sie bei Familienbesuchen begleitet. Ein Theaterstück sollte entstehen. Ausgangspunkt waren Textfragmente von Bertolt Brecht, die Mitspieler waren aufgefordert, ihre Geschichte mit der Prosa des Klassikers zu verbinden. „Das gelang am Ende auch. Schließlich waren die Texte des Dichters und die improvisierten Geschichten nicht mehr zu unterscheiden“, kommentiert Heise. „Der Weg zu der Aufführung im Gefängnis war jedoch steinig,“ stellt er fest. Denn die Gefängnisleitung verfügte, dass die Schauspieler nur mit Masken auftreten dürften. Auch in dem Dokumentarfilm, den Heise vor Ort drehte, seien alle Gesichter zu verspiegeln. „Wahrscheinlich gelangt der Film erst in die Öffentlichkeit, wenn der letzte entlassen ist“, mutmaßt der Hochschulprofessor.
In einem weiteren Projekt arbeitet Heise mit der Volksbühne zusammen. Archivmaterial, Fotos, Dokumentationen, Interviews sollen zu einer Geschichte des Hauses verwoben werden, in der von der „Kunst des Volkes“ in dem Berliner Theater und nicht nur von dessen Historie erzählt wird. Die Studenten der HFF sind aufgefordert, sich bei ihrem Professor um eine mögliche Mitarbeit zu bewerben. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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