Homepage: Der eiserne Gustav
Der nach Fallada benannte Literatur-Dozent war in seinen Anforderungen eisern, gab aber jedem eine Chance. Von Josef Drabek
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Josef Drabek, 1939 in Böhmen geboren, studierte von 1958 bis 1962 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, dem Vorläufer der heutigen Potsdamer Universität. Derzeit schreibt Drabek seine Erinnerungen „Von Böhmen nach Brandenburg. Wege zwischen Weltkrieg und Wende“, deren erster und zweiter Teil vorliegt. Der dritte Teil zu Brandenburg beginnt mit der Studienzeit. Auszüge daraus erscheinen in den PNN.
Ähnlich wie die Sprachwissenschaft (siehe PNN vom 25.03.15) wurde ihre literarische Schwester damals ebenfalls etwas unsystematisch vermittelt. Sie begann nicht mit den Anfängen der deutschen Literatur, sondern mit dem Gebiet „Literatur der DDR“. Die Veranstaltungen führte Dr. Gustav Schröder durch, den wir wegen seines Vornamens den „eisernen Gustav“ nannten, in Anlehnung an Hans Falladas Roman. Wie der Berliner Droschkenkutscher war auch er in seinen Anforderungen eisern, gab aber jedem eine Chance. Das galt gerade für die Literatur von 1890 bis 1945 und solche Studenten, die bei ihm ihre Staatsexamensarbeit schrieben.
Zur Themenvergabe bestellte er vier von uns in seine unweit der Erlöserkirche gelegene Wohnung. Drei meiner Mitbewohner erhielten Aufgaben zu Werken von Johannes R. Becher und Leonhard Frank. Für mich fiel enttäuschend kein Schriftsteller ab, sondern „nur“ das Randgebiet „Theaterstücke für Laienbühnen vor 1918“. Der Enttäuschung folgte aber Entspannung, als mir der Mentor einen dicken Stapel Karteikarten mit Titeln für Primär- und Sekundärliteratur sowie Signaturen der Deutschen Bücherei Leipzig übergab. So konnte ich täglich vom Elternhaus in die nahe Messestadt fahren, um in der großen, kurz zuvor erweiterten Bibliothek zielgerichtet zu arbeiten.
Die Arbeit machte Spaß, bald war die Gliederung fertig und das erste Kapitel geschrieben. Beides wurde mit dem Mentor besprochen, das Ganze auf einer mechanischen Schreibmaschine getippt und abgegeben. Im Ergebnis gab es ein „Gut“, welche Rolle die weniger gute Form gespielt hat, weiß ich nicht. Mein Exemplar besitze ich leider nicht mehr. Auf Nachfrage erfuhr ich, dass unsere Staatsexamensarbeiten mittlerweile „aus Platzgründen“ entsorgt wurden. Das nimmt nicht wunder, denn in dem 2001 erschienenen, 142 Seiten umfassenden Buch „Die Universität Potsdam“ ist die Pädagogische Hochschule mit weniger als fünf Seiten bedacht. Schade, dass auch unser „eiserner Gustav“ nach Aufgabe seiner Garage die darin aufbewahrten Exemplare entsorgt hatte.
Wie der historische „eiserne Gustav“ mit Familiennamen hieß auch der Dozent, der deutsche Literatur zwischen 1700 und 1830 lehrte und Veranstaltungen für die Zeit von 1890 bis 1945 abhielt: Dr. Hartmann. Der etwas eisern wirkende gestandene Schulmann gefiel allein schon durch Episoden aus der eigenen Lehrertätigkeit, als beispielsweise ein Schüler die Stunde über mit erhobenen Armen eine Landkarte halten musste, weil er den Ständer versteckt hatte. Beeindruckend waren sein „Faust“-Seminar und die Weimar-Exkursion, bei der er als Bildungsreiseleiter brillierte. Ähnlich agierte ich später, allerdings mit Goethe als Minister, Naturwissenschaftler und Künstler im Mittelpunkt, was einen Schüler so beeindruckte, dass er begeistert meinte: „Der Jethe, det war wirklich een Genie, eh!“
Horst Hartmann war es auch, der Übungen zum 1958 verstorbenen Romancier Lion Feuchtwanger durchführte, zu dem es im Vergleich mit Thomas Mann heißt, dass über diesen geredet, jener hingegen gelesen wird. Trotzdem haben wir ihn zu einem „Feuchtschwanger“ verballhornt.
Hauptsächlich behandelten wir dessen Auseinandersetzung mit dem Faschismus anhand der Josephus-Trilogie, in deren Mittelpunkt der jüdische Geschichtsschreiber Josef Ben Matthias steht. Wegen unseres gemeinsamen Vornamens und meines Faibles für historische Romane wurde dieses Werk zur Prüfung gewählt. Davor hatte ich allerdings etwas Angst, da mir dem Dozenten gegenüber einmal die besserwisserische Bemerkung „Bildungslücke“ entfuhr, weil ihm der kaiserliche Hofpoet Johann Jakob Vogel unbekannt war. Zum Glück gab es keine Retourkutsche, sondern ein „Gut“. Eine bessere Note scheiterte an der geringen Kenntnis des Romans von Gottfried Keller „Der grüne Heinrich“. Hier zahlte sich negativ aus, den riesigen Lesekanon nicht vollständig geschafft zu haben. Und so clever wie die Mädels waren wir nicht, das umfangreiche Kompendium aufzuteilen, Inhaltsangaben anzufertigen und auszutauschen.
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