Landeshauptstadt: Der Glaube an den Sozialismus überlebte
Helga Gäbel berichtete in der Gedenkstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis Leistikowstraße von ihrer Haftzeit
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Wem Helga Gäbel von ihrem Leidensweg in sozialistischen Gefängnissen erzählt, dem mag das Wort „Wahnsinn“ in den Sinn kommen. Schlafentzug, eine Zelle ohne Toilette, Gewaltdrohungen – wahnsinnige Torturen musste Gäbel über sich ergehen lassen. Die Berlinerin berichtete in der Gedenkstätte Leistikowstraße von ihrer Haftzeit in Potsdam und Hoheneck sowie von ihrem Glauben an den Sozialismus, den selbst die Haft nicht zerstören konnte. Martin Vogel, Vorsitzender des Beirats der Gedenkstätte, moderierte die Veranstaltung, die im Rahmen der Themenwoche über Frauen in stalinistischen Gefängnissen stattfand.
Der West-Berlinerin Gäbel, die damals noch Kühn hieß, war es 1951 zum Verhängnis geworden, dass sie sich für die russische Sprache und Kultur interessiert hatte. Gäbel, Jahrgang 1931, pflegte Anfang der 50er Jahre Kontakte zu Sowjetsoldaten. Das genügte, um in Spionageverdacht zu geraten. Dabei wollte Gäbel nur jene Idee mit Leben füllen, die in der DDR jedem Pionier eingetrichtert wurde, nämlich die Freundschaft zur Sowjetunion. Gäbel war Mitglied des DDR-Jugendverbandes FDJ und Kandidatin der SED. Nachdem die junge Frau ab 1950 einige Male kurzzeitig in Haft genommen wurde, nahm die sowjetische Militärspionageabwehr Gäbel im März 1951 erneut fest. Nach einigen Wochen Haft an unbekanntem Ort brachte man die Spandauerin in das KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße. Dort habe sie ganze Nächte in einer Ecke stehen müssen. Auch am Tag sei ihr das Schlafen verboten gewesen. So sei sie eines Tages im Karzer regelrecht umgefallen. Diese Zelle habe nicht einmal eine Toilette gehabt. „Man hat unter sich gepullert – was sollte man machen.“
Im Potsdamer KGB-Gefängnis bemerkte Gäbel bald, dass sie schwanger war. Auf eine milde Behandlung konnte die junge Frau trotzdem nicht hoffen. Ein sowjetischer Offizier habe ihr sogar gedroht, mit einem Tritt gegen den Bauch ihr ungeborenes Kind zu töten. In den auf Russisch geführten Verhören, die sie immerhin teilweise verstand, habe sie zunächst jede Schuld von sich gewiesen. Nachdem die Torturen immer unerträglicher geworden seien, habe sie schließlich unterschrieben, was man ihr vorlegte. Den Inhalt des Schriftstücks nahm sie dabei wohl gar nicht mehr genau zur Kenntnis. Am 21. November 1951 verkündeten die Sowjets ihr Urteil: 25 Jahre Lagerhaft.
Nur sechs Tage nach der Urteilsverkündung, am 27. November 1951, entband Gäbel ihre Tochter Angelika. Da war die junge Frau bereits ins Haftkrankenhaus im sächsischen Hoheneck verlegt worden. Von hier aus habe sie das erste Mal seit der Festnahme im März ihren Eltern in Berlin ein Lebenszeichen senden können. Sie schrieb ihnen von der Geburt der Tochter. Nur drei Monate durfte Gäbel ihre Tochter Angelika bei sich haben, dann brachte man das Baby in ein Kinderheim nach Leipzig. Helga Gäbel wurde nach sechs Jahren Haft im März 1957 aus dem Gefängnis Hoheneck entlassen. Ihre Tochter war zu den Großeltern nach Berlin gebracht worden. Als sich Mutter und Tochter wiedersahen, war das Kind fünfeinhalb Jahre alt. „Wir mussten uns ganz doll aneinander gewöhnen.“
Doch wer meint, die Haft habe Gäbel immun gegen die sozialistischen Ideen gemacht, der irrt. 1989, als unzählige Deutsche mit dem Wort „Wahnsinn“ ihre Freude über den Fall der Mauer in alle Straßen, Plätze und Kameras hinausgerufen hatten, da habe sie Trauer empfunden. Ihr Traum von einem Zusammenleben im Sinne der sozialistischen Ideale sei geplatzt. Warum aber hatte sie dann die Jahrzehnte zuvor in West-Berlin verbracht und war nicht in die DDR übergesiedelt? Ihr Mann habe das nicht gewollt, sagt sie, schließlich sei er aus dem Osten gekommen. Holger Catenhusen
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