
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Der hohe Preis der Freiheit
Sie haben für die Befreiung ihres Landes ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Nun werden sieben Libyer im Klinikum Ernst von Bergmann behandelt
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Eigentlich sei er Farmer, in Ben Gashir besitze er Land, mit Olivenbäumen. Seit wenigen Tagen liegt Mokhtar-Ah Abushoglen auf der Station für Unfallchirurgie des Klinikum Erst von Bergmann. Der 57-jährige Libyer, der sich General nennt, hatte seit drei Monaten in der Befreiungsarmee gekämpft, als am 10. September eine Raketendetonation ihm Oberschenkel und Handgelenk zerfetzte.
Abushoglen ist einer von 297 Kriegsverletzten, die über Tunesien nach Deutschland ausgeflogen wurden, um hier adäquat behandelt zu werden. Sieben von ihnen, die meisten junge Männer Anfang zwanzig, kamen letzte Woche nach Potsdam. Das Gesundheitsministerium hatte angefragt, so Klinikchef Steffen Grebner, ob es im Klinikum Kapazitäten und Kompetenzen für deren Versorgung gebe. „Wir sind immerhin unter den zehn größten Krankenhäusern Deutschlands“, so Grebner. Finanziert wird die Behandlung durch die Hilfsorganisation almeda GmbH des „Temporary Finanzing Mechanism“, dem Finanzministerium der libyschen Übergangsregierung.
Im Klinikum stellt man sich auf eine längerfristige Behandlung ein. Wer nach vier Wochen schon fit sei und eine Nachbehandlung im Heimatland bekommen kann, werde entlassen, den meisten stehe allerdings ein längerer Aufenthalt bevor. „Es handelt sich um Hoch-Energie-Verletzungen, komplizierte Schussbrüche, Splitterverletzungen, Defekt-Schäden mit begleitenden Weichteil-, Gefäß- oder Nervenschäden, die eine technisch aufwendige Behandlung erfordern“, erklärte Rudolf Schulz, Chefarzt der Unfallchirurgie, gestern bei einem Pressegespräch. Eine durchaus ordentliche Erstversorgung sei in Tunesien erfolgt, eine dortige Weiterbehandlung wegen Überlastung der Krankenhäuser und der Komplexität der Verletzungen aber nicht möglich gewesen.
Mittlerweile wurden fast alle Patienten operiert, die externen Fixaturen, Metallgestänge und Schrauben, die die Brüche ruhig stellten, entfernt. Für einige wird es nicht die letzte Operation gewesen sein, bei großflächigen Wunden sind Hauttransplantationen unerlässlich. Die Männer, in Drei-Bett-Zimmern auf der erst vor einem Jahr komplett renovierten Station, sind trotz aller Widrigkeiten guten Mutes und sehr motiviert, was Rehabilitationsmaßnahmen wie Übungen zum Muskelaufbau betrifft, sagen die Ärzte. Auch die Sprachbarriere erwies sich als weniger problematisch als befürchtet. Wer nicht englisch spricht, bekommt Hilfe von arabisch-sprechendem Krankenhauspersonal, ebenso gäbe es in Potsdam eine kleine Gemeinde hier ansässiger Libyer, die die Patienten regelmäßig besuchen, so Schulz.
Nawara Arad Dawes ist die einzige Frau unter den Verletzten, sie spricht kein Englisch und ist auf ihren Mann angewiesen, der sie nach Deutschland begleitet hat. Er wohnt im Hotel, die Kosten trägt ebenfalls der Hilfsfond. Dass der Ingenieur zwischenzeitig nicht arbeiten und Geld verdienen kann, war zweitrangig: Das hier sei wichtiger, sagt er. Seine Frau sei auf der Straße hinter ihrem Haus von einem Scharfschützen Ghaddafis getroffen worden. Acht Kinder warten zu Hause, täglich werde telefoniert, sagt Dawes, voll des Lobes über die Klinik.
Auch Abushoglen ruft jeden Tag zu Hause an, sein jüngstes Kind ist erst acht Jahre alt. So bald wie möglich will er zurück, einer seiner großen Söhne ist Arzt, der werde ihn in Libyen weiter behandeln, hofft er. Außerdem werde er beim Wiederaufbau des Landes gebraucht. Das soll so werden wie die „anderen Länder“, erklärt er, ohne Diktator. Und wenn noch mal ein Gaddafi käme, sei er sofort bereit zu den Waffen zu greifen, „we are ready“, gibt er sich kämpferisch.
Vorerst ist weder an Entlassung geschweige denn Wiederaufbau zu denken, vollgepumpt mit Schmerzmitteln liegt er, wie die jungen Männer, mit denen er gemeinsam für die Freiheit seines Landes gekämpft hat, müde im weißen Krankenhausbett. Chefarzt Rudolf Schulz schaut sich die frisch operierten Gliedmaßen an und bittet ihn, die Finger der kaputten Hand zu bewegen. Als der „General“ mit seinem Daumen leicht wackelt, ist Schulz zufrieden.
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