
© ddp
Von Patricia Czarkowski: Der Kodex der Sprayer
Potsdam will mit legalen Flächen illegale Graffiti eindämmen / 14 000 Fälle im Land Brandenburg registriert
Stand:
Seine Finger glänzen silbern und riechen nach Lack. Ein Nebeneffekt, an den sich Benjamin Bauer längst gewöhnt hat. Seine Hände sind regelmäßig blau, gelb, schwarz oder rot, je nachdem, mit welcher Farbe der 26-jährige Potsdamer seine Graffiti sprüht. Und er sprüht zur Zeit oft – und besonders häufig ist er dabei am Bassinplatz anzutreffen.
Dort steht noch bis Ende August das Sommerzelt des Stadtjugendrings (SJR). Dort werden den Jugendlichen neben Filmvorführungen und Lounge-Abenden auch Graffiti-Wände geboten. Mit den legalen Flächen soll die Zahl der Sachbeschädigungen durch Graffiti in der Stadt gesenkt werden.
Die zum Sprühen bereitgestellten Flächen kommen in Potsdam offenbar gut an, überall sind bunte Graffiti zu sehen, manche scheinen Erstlingswerke zu sein, andere zeugen von Erfahrung und Können. Die gesprühten Bilder auf Leinwänden wirken harmlos, aber vielen Bürgern sind sie ein Dorn im Auge, sobald die Werke auf Häuserfassaden, Bahngleisen oder Zügen auftauchen. „Jeder hat irgendwie illegal angefangen, meistens mit sogenannten Tags, also Schriftzügen“, sagt der 29-jährige Felix, ein Freund von Benjamin Bauer.
Beide sind seit mehr als 15 Jahren leidenschaftliche Sprayer und erinnern sich noch gut an ihre nächtlichen Sprühaktionen, bei denen sie vor Jahren mitgemacht haben: Die Mischung aus der Angst, erwischt zu werden, und dem Ehrgeiz, ein gutes Bild an die Wand zu sprühen, führt zum Adrenalinkick, den viele Jugendliche suchen. Erwischt zu werden bringt aber zurück auf den Boden der Realität. „Nachdem ich dreimal vor dem Richter gesessen habe, hat es dann gereicht“, sagt Bauer. Felix hat ähnliche Erfahrungen gemacht, er nickt zustimmend. Seit dem Ärger sprühen die Jungs auf legalen Flächen.
Die Stadt Potsdam bietet aktuell rund 500 Quadratmeter freie Wand-Fläche an, auf denen sich die Sprayer verewigen können. Ab kommenden Monat sollen noch 1000 Quadratmeter in der Nähe des Bahnhofs Rehbrücke dazukommen – auch als Ersatz für weggefallene Mauern in der sanierten Schiffbauergasse.
Das Ziel allerdings, mit den legalen Flächen die Zahl der Sachbeschädigungen durch Graffiti in Brandenburg zu senken, ist bislang nur bedingt erreicht worden. Allein im vergangenen Jahr registrierte das Landeskriminalamt rund 14 000 Fälle von illegalen Tags und Graffiti, im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es mehr als 6000 Delikte.
Es sind solche Statistiken, die Felix und Benjamin Bauer verärgern, weil dadurch die Graffitiszene ihren „verruchten Charakter“ nicht los wird. Sie betonen, ihnen seien der künstlerische Aspekt und die Ästhetik ihrer Werke wichtig. „Es gibt einige Leute, die sehen das nicht als Kunst, die wollen nur ihren Frust ablassen. Anstatt Autos zu klauen, gehen sie irgendwo sprayen“, sagt Felix leicht genervt. Dass diese sogenannten Bombings, also grobe und schnell gesprühte Bilder, für Ärger sorgen, kann er verstehen.
Aber auch gut gesprayte Graffiti werden von vielen Bürgern nicht geschätzt. „Das liegt unter anderem daran, dass der Laie die Werke nicht versteht, da Graffiti oft codiert sind“, sagt Kunsthistorikerin Ilaria Hoppe von der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin. Graffiti nähmen zwar wie Street Art eine „Randstellung“ in der Kunstgeschichte ein, Hoppe sieht aber gewisse Parallelen zur Kalligraphie. „Wer die Schrift entziffern kann, entdeckt einen künstlerischen Wert darin.“
Und Sprayer, die Graffiti als Kunst sehen und das Sprayen ernst nehmen, halten sich an einen Ehrenkodex – sagen zumindest die beiden jungen Männer vom Bassinplatz. „Dazu gehört, dass wir keine frisch sanierten Häuser, Kirchen, Friedhöfe, denkmalgeschützte Gebäude oder Autos besprühen“, führt Felix an. Oberstes Ziel der Sprayer sei schließlich, dass das Kunstwerk auch lange sichtbar bleibt und nicht von Reinigungsfirmen oder verärgerten Hausbesitzern übermalt wird.
Auch vor diesem Hintergrund hat sich die Potsdamer Sprayer-Szene gegen mobile Sprüh-Flächen in der Schiffbauergasse als langfristig ungeeignet ausgesprochen. „Es ist schon frustrierend, wenn man drei Stunden lang an einem Bild gesprüht hat und am nächsten Tag ist es weg“, sagt Benjamin. Genau hier sieht Dirk Harder, Geschäftsführer des Stadtjugendrings, den Vorteil von legalen Flächen. „Es geht ums Sehen und Gesehenwerden. Die Sprayer wissen, dass ihr Bild auf freien Flächen stehenbleibt und es von vielen Leuten bemerkt wird.“ (mit HK)
Patricia Czarkowski
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: