Landeshauptstadt: Der positive Schub
Seit 20 Jahren machen sich an Multipler Sklerose Erkrankte gegenseitig Mut
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Seit 20 Jahren machen sich an Multipler Sklerose Erkrankte gegenseitig Mut Als Hans-Eberhard Bewer 1992 erfuhr, dass er an Multipler Sklerose (MS) erkrankt ist, stürzte der Molkereifacharbeiter in eine tiefe Krise. Bereits 1974 stellte sich ein Augenleiden ein, verschwand dann aber wieder. Die Anfang der 80er Jahre auftretenden Rückenprobleme wurden lax abgetan und sogar davon gesprochen, dass er sich wohl vor der Arbeit drücken wolle. Doch erst viel zu spät kam es zu einer gezielten Behandlung. Multiple Sklerose ist eine noch immer unheilbare Krankheit, die die Nervenbahnen im Gehirn und im Rückenmark befällt. Geklärt ist noch immer nicht, ob beim Ausbruch der Krankheit Viren im Spiel sind. MS befällt Frauen häufiger als Männer. Durch die Krankheit werden das Seh- und Sprachvermögen, die Bewegungsabläufe und das Gleichgewicht gestört.Seit sechs Jahren sitzt Bewer nun im Rollstuhl und findet es trotzdem unmöglich, dass er sich vor zwölf Jahren „so hat hängen lassen“. Dadurch sei seine Ehe fast am Ende gewesen. Aufgebaut hat ihn die Selbsthilfegruppe Potsdam der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, deren Sprecherin lange Marion Rous war. „Ich war schon zu DDR-Zeiten der Meinung, dass sich die Erkrankten treffen müssen, um sich gegenseitig Mut zu machen“, erklärt Rous. „Wir durften uns damals aber noch nicht Selbsthilfegruppe nennen.“ 20 Jahre ist das her und das Jubiläum soll gefeiert werden. Denn trotz aller Schwierigkeiten und gesundheitlichen Probleme haben gerade die Treffen dazu beigetragen, dass die MS-Kranken immer wieder Mut schöpfen und das Lachen nicht verlernt haben. Selbst Marion Rous, die seit einem Jahr nicht mehr in der Lage ist, die Gruppe zu leiten, setzt ein fröhliches Gesicht auf, wenn sie von ihrer Familie spricht. Ohne ihren Mann hätte sie als Gruppensprecherin nicht so lange durchgehalten. Ihr Sohn war 1983 gerade drei Jahre alt als sie erkrankte. Nun hat sie die Gruppensprecherarbeit an Yvonne Monser weitergegeben, die sich noch frei bewegen kann. Yvonne erkrankte 1996, leidet an starken Schüben, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Seit anderthalb Jahren ist sie Rentnerin, dazu allein erziehende Mutter. „Es war für mich ein großer Einbruch“, sagt die einstige Angestellte eines Projektierungsbüro. „nicht nur finanziell, ich wollte lange einfach nicht wahrhaben, dass ich an MS leide.“ Vom gestörten Gleichgewicht redet auch Carola Grobmann, die 1993 erkrankte, es aber erst fünf Jahre später erfuhr. Die Lehrerin glaubte zuerst, sie sei überarbeitet, war sogar in psychiatrischer Behandlung. Ob sie es gern eher gewusst hätte? „Ich weiß nicht“; sagt sie. Es wären fünf unruhige Jahre mehr gewesen.“ Öffentliche Verkehrsmittel benutze sie nicht gern, sagt sie, wegen der Schwindelanfälle. Zum Treff im Haus der Begegnung komme sie zumeist mit dem Fahrrad. „Ja“, sagt sie auf erstaunte Rückfrage, „Fahrradfahren ist bei MS eine sehr gute Fortbewegungsmöglichkeit.“ Wenn sie sich nicht fühle, das wisse sie meist schon am Morgen, bleibe sie allerdings zu Hause. Und so geht es auch anderen 12 Teilnehmern der Selbsthilfegruppe. „Hier erfahre ich an einem Nachmittag mehr über die Krankheit und Behandlungen als bei vier Arztbesuchen“, meint Carola Grobmann und alle sind sich einig, dass allein schon das Zusammensein und der Plausch alle drei Wochen bei Kaffee und Kuchen positive Schübe bringt, egal ob es die allein stehende Andrea Rautengarten ist oder die noch relativ selbstständige Marion Barthel, die Yvonne bei einem Krankenhausbesuch kennen gelernt hat oder die inzwischen stark auf die Hilfe ihres Mannes angewiesene Monika Heinrich. Man fühlt sich miteinander wohl. Seit vier Jahren sei die Gruppe ziemlich stabil und jeder übernehme Aufgaben, um die Sprecherin zu unterstützen. Gemeinsam mache man auch hin und wieder Ausflüge, zum Beispiel nach Bad Saarow, das gut auf Behindertenbeherbung eingerichtet sei. Da aber alle Rentner sind und die Transporte sehr teuer sind, werden Spenden gern entgegengenommen. Sie fließen nicht reichlich, aber manchmal sammeln ehemalige Kollegen, gibt es auch anderweitig spontane Hilfe. „Als ich noch gesund war“, meint Hans-Eberhard Bewer, „habe ich über Leute im Rollstuhl auch nicht nachgedacht.“ Er wünscht sich, normal behandelt zu werden. Wenn er Hilfe brauche, sage er das schon und freue sich natürlich, wenn dann mal jemand zupackt. Hella Dittfeld Das Spendenkonto der MS-Selbsthilfegruppe Potsdam I ist bei der Commerzbank Potsdam, Konto 108 11 40, BLZ 160 40 000. Informationen unter Tel. (0331) 963099 .
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