
© Christoph Freytag
Landeshauptstadt: Der Preis der Freiheit
Wegen eines DDR-Ausreiseantrags saß Heidelore Rutz in Haft. Jetzt hat sie darüber ein Buch geschrieben
Stand:
Dass das Buch irgendwann geschrieben werden musste, das wusste Heidelore Rutz schon damals. An einem heißen Julitag des Jahres 1983 wurde die Krankenschwester gemeinsam mit ihrem Ehemann in Jena von der Straße wegverhaftet, von den beiden neun und 13 Jahre alten Söhnen und dem ungarischen Gastkind getrennt, ins Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit nach Potsdam in der Lindenstraße gekarrt. Das vermeintliche Verbrechen: Heidelore Rutz und ihr Mann Dietrich hatten einen Antrag auf Ausreise aus der DDR gestellt. Und sie hatten ihrem Wunsch mit der Teilnahme am sogenannten Weißen Kreis in Jena Nachdruck verliehen – eine Art stumme Demonstration, bei der Ausreisewillige sich auf einem Platz im Zentrum der thüringischen Universitätsstadt versammelten und ohne Parolen, Plakate oder andere Aktionen still im Kreis standen. Am 30. Juli 1983 wurde ihnen das zum Verhängnis.
Jetzt, gut 30 Jahre später, ist das Buch über die monatelange Odyssee der jungen Mutter durch verschiedene DDR-Gefängnisse bis zum Freikauf und der Ausreise in die Bundesrepublik erschienen. „Klopfzeichen“ heißt es – so, wie es sich die damals 38-Jährige schon in der ersten Zelle im berüchtigten „Lindenhotel“ vornahm. „Allen, mit denen ich im Laufe der Zeit zusammenkam, beteuerte ich, dass das, was wir hier erlebten, nicht vergessen werden dürfe und ich darüber berichten würde“, schreibt sie im Vorwort.
Es ist eine geradezu kafkaeske Welt, in die Heidelore Rutz, die seit einigen Jahren mit ihrem Mann wieder in Potsdam lebt, den Leser auf gut 140 Seiten mitnimmt. Es ist die hässliche Fratze der DDR, von der sie Zeugnis ablegt. Der Albtraum, in den jemand geraten konnte, wenn er sein Leben selbst gestalten und die Unfreiheiten, die das Leben in der DDR mit sich brachte, nicht hinnehmen wollte. Heidelore Rutz erzählt von einer Parallelwelt und deren Verwaltern, aber auch davon, wie sie für „normale Bürger“ buchstäblich zur Unsichtbaren wurde – wie sich Köpfe wegdrehten, Hilferufe unerhört blieben. Die Lektüre ist an vielen Stellen erschütternd.
Allein schon die Festnahme in Jena: Die rund 50 Kreis-Teilnehmer werden plötzlich von „unauffälligen“ Männern wortlos zusammengedrängt und in einen Bus gescheucht, der auf den Platz fährt. Es geht in eine Turnhalle mit Gittern vor den Fenstern. Die Festgehaltenen müssen auf Turnbänken Platz nehmen und ihre Personalausweise abgeben. Was genau passieren und wie lange alles dauern wird, ist völlig unklar. Die Kinder bekommen Hunger und Durst. „Dafür können wir ja nichts“, bekommt die besorgte Mutter vom Wachpersonal gesagt: „Das ist doch Ihre Sache, wenn Sie sich da hinstellen.“ Nach Stunden des Wartens fährt ein Lkw mit Bereitschaftspolizisten vor. Die Gruppe wird für Befragungen in die Polizeidienststelle gebracht. Als der jüngere Sohn aus dem Toilettenfenster sieht, wie sein Vater in einen Lkw steigen muss, muss er weinen. „Da brach für mich eine Welt zusammen, aber für die Kinder wollte ich stark sein und weinte nicht“, berichtet Heidelore Rutz. Wenig später werden ihr die Kinder weggenommen – Mitarbeiter eines Brandenburger Kinderheimes nehmen sie mit. Fast ein Jahr wird es dauern, ehe Heidelore und Dietrich Rutz sie wiedersehen wird.
Auch das Ehepaar wird getrennt. Heidelore Rutz verbringt die Nacht auf einer Luftmatratze bei der Polizei. Mitten in der Nacht wird sie geweckt – eine Haftrichterin legt ihr den Haftbefehl vor. Heidelore Rutz muss alle ihre Habseligkeiten abgeben – selbst den Ehering. Am kommenden Morgen wird sie mit einem umgebauten Barkas-Lieferwagen abgeholt. Besenschrankähnliche Käfige sind in den Lieferwagen eingebaut, beim Transport in unerträglicher Hitze wird die Luft knapp, es stinkt nach Abgas. „Ruhe dahinten“, werden die Gefangenen angeherrscht, wenn sie sich austauschen wollen. Nach Stunden der Fahrt ist man am Ziel – dem Untersuchungsgefängnis der Stasi in der Lindenstraße in Potsdam.
Mehrere Monate muss Heidelore Rutz dort zubringen, ehe es Ende November zum fadenscheinigen Prozess und der Verurteilung zu Frauen-Zuchthaus Hoheneck kommt. In ihrem Buch berichtet sie von Todesangst, Ohnmacht und Wut, erzählt in jeweils kurzen Szenen von den Schikanen der Wärter und Vernehmer, vom Alltag hinter Gittern, von Schicksalen der Mitgefangenen und von den titelgebenden Klopfzeichen. Schon in den ersten Tagen in der Lindenstraße bemerkt sie die Klopfgeräusche in der Wand – ein System, mit dem sich die Gefangenen untereinander „unterhalten“ und das die junge Frau bald entschlüsselt.
Die ersten Aufzeichnungen über die Haftzeit machte Heidelore Rutz gleich nach ihrer Entlassung in die Bundesrepublik 1984. Auch im hochgelobten Dokumentarstück „Staats-Sicherheiten“, das 2009 am Potsdamer Hans-Otto-Theater Premiere feierte, stand sie mit auf der Bühne und erzählte von ihren Erlebnissen. Wie das Theaterstück so geht auch das Buch dem Leser viel näher, als es jeder historische Abriss über die Staatssicherheit könnte. Denn es macht deutlich, welches persönliche Leid verursacht wurde. Und es stellt implizit auch die Frage nach der Verantwortung der vielen Beteiligten. Jana Haase
Am 8. September um 18 Uhr liest Heidelore Rutz im Modegeschäft von Karin Genrich in der Jägerstraße aus ihrem Buch. Wegen begrenzter Plätze wird um Anmeldung unter Tel.: (0331) 29 64 52 gebeten
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