Landeshauptstadt: Der prominenteste Vierspänner der Deutschen
Vor 250 Jahren wurde Johann Gottfried Schadow geboren. Seine Quadriga entstand einst in Potsdam
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Ein großer Haufen Schrott. Das war alles, was von ihr übrig blieb: Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor in Berlin bietet am Ende des Krieges 1945 ein jämmerliches Bild. Reste des Kunstwerks thronen zwar noch immer auf dem Dach des steinernen Wahrzeichens, aber der Triumphwagen ist völlig demoliert, die zwei verbliebenen Pferdeleiber sind von Kugeln durchsiebt. Mit diesem traurigen Schicksal ist der bekannteste Vierspänner Deutschlands freilich nicht allein. Unzählige Häuser und Kunstwerke ragen bei Kriegsende in die zerklüftete Stadtlandschaft Berlins. Längst nicht alle von ihnen erhalten nach dem Krieg die Chance auf ein zweites Leben. Doch die Quadriga hat Glück. 1957 kehrt eine Replik auf das Dach des Brandenburger Tores zurück.
Entworfen hat das Viergespann einst Johann Gottfried Schadow. Sein Geburtstag jährte sich jetzt zum 250. Mal. Am 20. Mai 1764 erblickte der Sohn eines Schneidermeisters in Berlin das Licht der Welt. Hier in seiner Geburtsstadt machte der geniale Grafiker und Bildhauer Karriere, übernahm 1810 die Leitung der Berliner Bauakademie. Wenige Jahre später wurde er zum Direktor der Königlich Preußischen Akademie der Künste ernannt. Friedrich Wilhelm IV. verlieh im Jahre 1842 dem zu dieser Zeit schon recht hochbetagten Künstler, der als bedeutendster Bildhauer des deutschen Klassizismus gilt, den Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste.
Was kaum jemand weiß: Es waren Potsdamer Handwerker, die nach Schadows Entwurf die Quadriga schufen. Zunächst fertigten die Brüder Wohler, die ihre Bildhauerwerkstatt in der Benkertstraße 3 hatten, Holzmodelle der vier Pferde an. Als Vorlage dienten ihnen wiederum in Gips modellierte Tiere. Der Potsdamer Hofkupferschmied Emanuel Jury schließlich führte die Kupferarbeiten aus. Wie diese Tätigkeit genau vonstatten ging, konnte selbst Schadow schwer in Worte fassen. „Das Verfahren lässt sich nicht mit Worten beschreiben“, meinte er einmal und erklärte dann doch ein wenig, wie es funktionierte: Jury legte über die einzelnen Teile der Holzmodelle Streifen aus Blei, die wiederum als Ausgangsform für die eigentlichen Kupfertreibarbeiten dienten. Für Jury offenbar eine sehr komplizierte Angelegenheit: Er habe zu Beginn der Arbeiten die Schwierigkeiten, die in dem Auftrag steckten, gar nicht alle erkannt, räumte er später ein. Doch 1793 waren nicht nur die Pferde vollendet, sondern die gesamte Quadriga, an der auch der Potsdamer Klempnermeister Gerike mitgewirkt hatte.
Entstanden ist das Viergespann, von dessen Original heute nur noch ein Pferdekopf übrig geblieben ist, also mitten in Potsdam. In der Ebräerstraße und der heutigen Friedrich-Ebert-Straße besaß die Familie Jury mehrere Häuser. In diesem Karree zwischen Yorck- und Ebräerstraße befand sich wahrscheinlich die Werkstatt Emanuel Jurys, in deren Räumen der Hofkupferschmied die Bekrönung des Brandenburger Tores schuf. Und noch eine weitere Verbindung gibt es zwischen Potsdam und der Quadriga auf dem Brandenburger Tor: In verschiedenen Versionen hält sich die Geschichte, wonach Friederike Jury, eine Verwandte des Kupferschmieds – zumeist ist von einer Nichte die Rede –, Schadow Modell für die Wagenlenkerin, also die Friedens- oder Siegesgöttin, gestanden haben soll. Die RBB-Moderatorin Tatjana Jury, die ebenfalls mit dem Kupferschmied verwandt ist, kennt zwei Versionen: Entweder hat Schadow die Rike, wie sie kurz genannt wurde, bei einem Besuch seines Kupferschmieds in Potsdam getroffen oder aber Jury besuchte gemeinsam mit Schadow die Berliner Kupferschmiede eines weiteren Verwandten aus der Jury-Dynastie und sah dort die attraktive Dame. Rike soll gar für Emanuel Jury bestimmt gewesen sein, sich aber schließlich für einen anderen Mann entschieden haben. Nachprüfbar sind diese Geschichten wohl nicht mehr.
An manch anderer Stelle hinterließ Schadow in Potsdam auch als Bildhauer seine Spuren, die zum Teil noch heute sichtbar sind: So schuf er zum Beispiel das straßenseitige Giebelrelief am Palais Lichtenau. Nicht mehr in Potsdam erhalten ist das Giebelrelief am Königlichen Schauspielhaus, im Volksmund Kanaloper genannt. Der fast zwölf Meter lange Fries entstand Mitte der 1790er-Jahre nach einem Entwurf Schadows. Das Kunstwerk, das Apoll umgeben von Musen und Grazien zeigte, prangte bis zum Abriss des kriegszerstörten Hauses Mitte der 1960er-Jahre am Giebel des Musentempels. Der Potsdamer Architekt Christian Wendland, damals Student in Dresden, erinnert sich, dass beim Abriss des Hauses auch der Fries mit zerstört werden sollte. Wendland intervenierte – zunächst erfolglos. Der oberste DDR-Denkmalpfleger habe ihm erklärt, „da können wir nichts machen“, sagt Wendland heute. Er versuchte, an der Technischen Universität Dresden Unterstützer zu finden, ebenfalls ohne Erfolg. Auch die Potsdamer Stadtverwaltung winkte ab. „Da habe ich die Tür so zugeknallt, wie ich sie mein Leben noch nicht zugeknallt hatte“, erinnert sich der Architekt an das Ende eines Gesprächs beim Magistrat.
Doch Wendlands Bemühungen um den Erhalt des Kunstwerks trugen am Ende offenbar doch Früchte. Der Fries wurde vor dem Abriss des Schauspielhauses abgenommen, zunächst eingelagert und später, in drei Teile zerstückelt, im Foyer des Kronprinzenpalais Unter den Linden angebracht. Dort ist er noch heute zu sehen – nicht sehr weit entfernt von Schadows Quadriga.
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