
© dpa
Sport: Der Schlechtere gewinnt
Nach Reals Sieg in Manchester ist der Protest groß. Mourinho hilft der Viertelfinaleinzug nicht weiter
Stand:
Manchester – „Bei uns sitzen alle in der Kabine und fragen sich, was passiert ist“, sagte der traurige Assistenzcoach Mike Phelan nach dem Aus in der Champions League. Dass europäische Spitzenspiele oft von winzigen Details abhängen, ist ja keine neue Erkenntnis. Doch der epische Abend im Old Trafford, mit all seinen Kontroversen und interessanten Personalgeschichten, stand in so einem krassen Missverhältnis zu jener Nichtigkeit an der Mittellinie, die dieses Duell der Kolosse in einer einzigen Sekunde entschied. Und dazu führte, dass sich Manchester United vom Schicksal höchstpersönlich betrogen fühlte. „Der Trainer sieht sich nicht in der Verfassung zu reden“, sagte Phelan, der von Alex Ferguson zur Pressekonferenz abkommandiert worden war.
Eine knappe Stunde lang hatte Manchester United den Gästen aus Spanien eine taktische Lektion erteilt. Trainer-Veteran Ferguson, 71, entnervte seinen Widersacher José Mourinho mit feinstem José-Mourinho-Fußball. Zwei perfekt organisierte Viererreihen verschanzten sich vor dem eigenen Strafraum, vorne stand neben Spitze Robin van Persie der junge Danny Welbeck Xabi Alonso penetrant auf den Füßen. Der bärtige Spanier, von Sir Alex vor der Partie als „Controller“ der Gäste identifiziert, fiel so als entscheidender Taktgeber aus; dem von Mourinho ganz zur Kontermannschaft umfunktionierten Starensemble fehlten Geduld und Ideen, um an den roten Barrikade-Reihen vorbei zu kommen. Uniteds Keeper David De Gea bekam keinen einzigen gefährlichen Ball aufs Tor. Dafür brachten die Engländer Madrids weit aufgerückte Defensive immer wieder mit frenetisch gefeierten, präzise geplanten Guerilla-Attacken in Bedrängnis. Ryan Giggs absolvierte auf dem rechten Flügel eine Glanzleistung im 1000. Spiel seiner Profikarriere.
Rückkehrer Cristiano Ronaldo stand im Gegensatz dazu meist neben sich. 70 000 Zuschauer hatten ihren früheren Helden vor Anpfiff stehend gefeiert, die Wucht der gegnerischen Sympathie traf den Portugiesen dort, wo es am meisten weht tat: mitten ins Herz. „Zum ersten Mal in meiner Karriere hat mich die Atmosphäre besiegt“, sagte der 28-Jährige später, „ich habe mich nicht gut gefühlt. Es gab zu viele Gefühle. Was die Fans gemacht haben, hat mich eingeschüchtert.“
Alles lief wunderbar nach Plan aus Sicht des englischen Tabellenführers, dem ein torloses Unentschieden nach dem 1:1 im Hinspiel für den Einzug ins Viertelfinale gereicht hätte. Doch dann traf Uniteds Flügelspieler Nani, der überraschend für den nicht austrainierten Rooney im Einsatz war, beim Versuch, einen hohen Ball anzunehmen, Madrids Alvaro Arbeloa am Brustkorb. Kein Spanier forderte einen Platzverweis, aber der bis dahin glänzend pfeifende Referee Cüneyt Çakir erkannte auf grobes Foul. Selbst die Madrid-treue „Marca“ empfand dies als Fehlentscheidung, ungläubig blickte das ganze Stadion auf die Rote Karte.
Ferguson lief außer sich vor Wut an den Spielfeldrand, und auch seine unglücklich dezimierte Elf geriet in der Folge etwas aus der Fassung. Der eingewechselte Luka Modric erzielte mit einem famosen Distanzschuss den Ausgleich, drei Minuten später drückte Cristiano Ronaldo eine Hereingabe von Gonzalo Higuain aus einem Meter über die Linie. Es war seine einzig wirklich gelungene Aktion des Abends, entschuldigend hob er die Arme in die Höhe. „Es tut mir Leid für Manchester United“, sagte er hinterher.
Man nahm dem einst als 17-Jährigen in die Stadt gekommenen Weltstar den Gefühlskonflikt ab, Mourinhos Rolle als bescheidenster Gewinner der Welt wirkte dagegen arg aufgesetzt. „Ich muss ehrlich sein: Die bessere Mannschaft hat verloren“, sagte der Portugiese, nachdem seine Mannschaft einen letzten, verzweifelten Sturmlauf von United überstanden hatte. Niemand habe das Recht, Personalentscheidungen des einzigartigen Ferguson in Frage zu stellen, polterte er noch, auf Rooneys späten Einsatz als Einwechselspieler angesprochen. Mourinho wird in der spanischen Hauptstadt voraussichtlich vom Hof gejagt, selbst wenn er die Champions League gewinnen sollte; auch deswegen war er sichtlich bemüht, einen guten Eindruck auf der Insel zu hinterlassen. Mittelfristig schielt er auf die Bank im Old Trafford. Der kuriose Sieg aber macht dieses Unterfangen noch schwerer, als es ohnehin schon war. Ein Ende seiner 27-jährigen Amtszeit kommt für Ferguson nach dieser gewaltigen Enttäuschung erst recht nicht Frage. Raphael Honigstein
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: