Landeshauptstadt: Der Schwellengänger
Der 38-jährige Andreas Kromphardt hat sein Lehramtsstudium aufgegeben, um als Erzieher zu arbeiten und Kinder zu begleiten
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Der breitschultrige Mann mit den rotblonden langen Locken hockt sich neben das kleine Mädchen. Aleksandra steht verloren im Raum. Die anderen Kinder sind längst in der Garderobe, es geht heute in den Wald. Andreas Kromphardt legt die Hand auf Aleksandras Schulter, spricht leise auf Englisch zu ihr und zeigt mit dem Finger Richtung Tür. Sie versteht kein Wort, aber wie von Zauberhand geführt geht die Kleine zum Anziehen.
Wenn Andreas Kromphardt mit den Kindern der Kita „Sonnenland“ arbeitet, ist ein wenig Magie dabei. Der 38-Jährige winkt ab: Das sei Handwerk und das lerne er gerade. Er ist im dritten Ausbildungsjahr zum staatlich anerkannten Erzieher. Und Aleksandra sei nach den langen Sommerferien in Russland noch nicht richtig wieder angekommen, sie brauche besondere Zuwendung. „Aber es stimmt schon“, fügt er hinzu, „ich kann mich schon gut in Kinder einfühlen.“
Ab kommenden Sommer haben alle Kinder ab drei Jahren Anspruch auf einen Kitaplatz. Allein in Potsdam sollen deshalb fast 700 neue Plätze für Kinder geschaffen und 70 neue Erzieher eingestellt werden. Der Anteil von männlichem Fachpersonal in Brandenburger Kitas allerdings wird auch dann verschwindend gering sein, er liegt bei unter zwei Prozent – trotz politischen Willens und Umschulungsmaßnahmen wie „Männer in die Kitas“. Aber immerhin: Es werden mehr. Auch dank Quereinsteigern wie Andreas Kromphardt. Er ist einer von neun Männern in seiner Klasse neben 24 Frauen an der Fachschule Hermanswerder. Sie alle, meist zwischen 30 und 40 Jahre alt, haben sich spät für den Beruf des Erziehers entschieden und arbeiten berufsbegleitend in Potsdamer Kitas.
Andreas Kromphardt ist seit diesem Sommer in der Montessori-Gruppe seiner Kita für Englisch zuständig. Zusammen mit einem anderen männlichen Erzieher. „Als zwei Männer sind wir schon ein bisschen normaler“, sagt er. In kaum einer Potsdamer Kita ist das Geschlechterverhältnis so ausgeglichen wie in der Gruppe von Kromphardt. In vielen wäre man froh, gäbe es überhaupt eine männliche Kraft.
Kromphardt selbst ist völlig überqualifiziert für den Job – denkt man in herkömmlichen Rastern: Er hat Englisch auf Lehramt studiert, bereits während des Studiums als Lehrer auf Honorarbasis gearbeitet, mehrere Jahre davon in Irland, sein Studium aber kurz vor dem Examen abgebrochen.
Damals kam sein Sohn zur Welt. Ein Jahr später wurde Kromphardt Tagesvater für zwei Kinder. Denn er war mit seinem vorherigen Lehrerdasein auch nicht zufrieden. Er wollte nicht nur Wissensvermittler sein, sondern die Kinder begleiten. Zu dieser Einsicht habe ihn erst sein eigenes Vatersein gebracht, sagt er. „Mein Kind hat mir ermöglicht, diese Schwelle zu überschreiten.“ Die Schwelle, Kinderbetreuung nicht nur als notwendige aber lästige Arbeit zu sehen, immer nur Schuhe zubinden, Nase putzen. Aber auch die Schwelle zu übertreten zu einem kaum anerkannten und schlecht bezahltem Beruf. Seine Freunde reagierten verwundert – er habe doch studiert. Sie sprachen von sozialem Abstieg. Ein finanzieller ist es in jedem Fall: „Was ich früher in einer Woche verdient hab, bekomme ich jetzt in einem Monat“, sagt er. Warum tut er sich das an? „Weil es eben Freude macht“, sagt er bloß.
Die größte Hürde zum Erzieherberuf war aber das Landesjugendamt. Mehrmals lehnte es seine Anstellung in einer Kita ab. Grund: Kromphardt hatte keine abgeschlossene Berufsausbildung. Als Fleischer oder Automechaniker hätte er quereinsteigen können, aber nicht mit abgebrochenem Pädagogikstudium. „Solche Regelungen machen es uns sehr schwer, erfahrenes und gut ausgebildetes Personal einzustellen“, klagt Anke Koallik, die Leiterin der Kita. Sie wollte Kromphardt unbedingt einstellen und auch er blieb hartnäckig: Er schrieb ans Ministerium, bekam schließlich mit einer Ausnahmegenehmigung die Stelle und konnte seine Ausbildung beginnen.
Koallik ist voll des Lobes über ihren angehenden Erzieher und will ihn auch nach seiner Schule weiterbeschäftigen. Er bringe „das pädagogische Etwas“ mit, sagt sie, und er könne sowohl mit den Kindern als auch mit den Eltern gut kommunizieren. Das Rollenklischee „Unser Mann in der Kita“ – das allerdings erfüllt Kromphardt nicht. Die Jungs hängen nicht an seinem Hosenbein, weil er mit ihnen tobt und auf Bäume klettert. „Er lässt sich Gott sei Dank nicht in diese Rolle hineindrängen“, sagt Koallik. Männer sollten ihrer Meinung nach auch als Kita-Pädagogen so sein, wie sie sind, sagt sie, ob nun eher musikalisch veranlagt oder lieber Fußball spielend. Keine Stereotypen in der elementaren Bildung weiterzugeben, ist auch für Kromphardt wichtig. Die Kinder sollten ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis vorgelebt bekommen, sagt er. Etwas anderes kommt gar nicht erst infrage.
Grit Weirauch
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