
© M. Thomas
Landeshauptstadt: Der totenköpfige König
Potsdams alternative Szene feierte den 65. Jahrestag der Auflösung des Staates Preußen mit einer Gala
Stand:
Kling! Sektgläser werden angestoßen, T-Shirts mit dem Porträt Friedrichs des Großen bedruckt, klassische Barock-Musik tönt durch die Räume des „Spartacus“ auf dem Gelände des Jugendzentrums „Freiland“. Eine weitere Festveranstaltung im Friedrich-Jahr 2012? Ja und nein, denn die „Preußen kaputt“-Gala, die rund 60 Anhänger der linksalternativen Szene am Samstagabend feiern, hat mitnichten den 300. Geburtstag des Alten Fritz zum Anlass. Sondern den 65. Jahrestag der Auflösung Preußens.
Die vom „Fuck off Fritz“-Bündnis organisierte Gala ist eine Mischung aus Ironie, Anklage und Aufklärung: Neben der Bar hängt ein zwei mal zwei Meter großes Gemälde mit dem totenköpfigen Friedrich vor einem von Krieg zerstörten Potsdam, und wer sich die T-Shirts und Stofftaschen an der Siebdruck-Station genauer ansieht, erkennt darauf ebenfalls den Monarchen mit Totenschädel und der Unterschrift „300 Jahre Deutsches Pack“. Vorlage für das Motiv sei eine Sonderbriefmarke mit dem Porträt Friedrichs gewesen, welche die Nationalsozialisten nach ihrem Machtantritt 1933 hatten drucken lassen, erklärt Bernd Lange: „Es war die erste Briefmarke des Dritten Reiches“, so der politische Künstler, „sie wurde aus Anlass der Neueröffnung des Reichstags veröffentlicht, die am 21. März – dem ‚Tag von Potsdam’ – in der Garnisonkirche stattfand.“ Die berühmte Szene des Handschlags zwischen Hitler und Hindenburg, welche die Verbindung zwischen Preußen und dem Nationalsozialismus symbolisiert, ist auch auf einigen Plakaten im „Spartacus“ zu sehen. Die Bildunterschrift: „Preußische Toleranz heißt, auch mal integrationswilligen Personen mit Migrationshintergrund die Hand zu reichen.“
Dass der Faschismus sich auf preußischer Ideologie und Gesellschaftsstrukturen aufbaute, ist eine Grundthese der Gala. Um dies zu illustrieren, gibt es zum Auftakt im Multimedia-Vortrag „Wie Winston Churchill einmal nur fast recht hatte“ einen kurzen Ritt durch die Geschichte Preußens. Wer darauf keine Lust hat, kann danach der Singer-Songwriterin „Kleingeldprinzessin“ sowie den Bands „Rebarker“ und „Affenmesserkampf“ lauschen.
Die offiziellen Veranstaltungen des Friedrich-Jahrs werden von den Teilnehmern der Gala als „inhaltlich ziellos“ und rückwärts gewandt betrachtet. Dabei könne man es anders machen: „Die preußische Geschichte ist ja nicht alternativlos“, sagt Mitorganisator Hannes, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. „Es gab auch Strömungen und Personen, die sich nicht durchsetzen konnten, zum Beispiel Max Dortu.“ Der bürgerliche Revolutionär, der 1849 von Preußen zum Tode verurteilt worden war, werde in Potsdam viel zu wenig thematisiert: „Jedes Jahr gibt es in Freiburg im Breisgau eine Trauerveranstaltung für Dortu, und Oberbürgermeister Jann Jakobs weigert sich seit Jahren, auch nur einen Kranz hinzuschicken.“
Auch wenn es den Organisatoren mit ihrer Kritik ernst ist, die Gala ist alles andere als eine verbissene Anti-Veranstaltung: Die Stimmung ist locker, humorvoll und die Bewertung des Themas durchaus differenziert. Die alternative Szene will das Friedrich-Jahr weiterhin begleiten, etwa durch Veranstaltungsreihen mit Dozenten der Fachhochschule oder einer Filmreihe im Thalia-Kino. Was es da zu sehen gibt? Auf jeden Fall „Der große Sauf-Preuße“, eine satirische Punk-Rock-Verfilmung von Friedrichs Leben. Erik Wenk
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: