
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Der Wettermann
Die Temperatur weiß er auch ohne Thermometer: Georg Kerath leitete den Wetterdienst Potsdam
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In Potsdam ist diese Wetterlage selten: Die Luft ist klar, sauber und trocken, so dass man fast 100 Kilometer weit in die Ferne blicken kann. Die Farben leuchten intensiv, in der Abenddämmerung stehen die Bäume scharf konturiert wie Scherenschnitte am Horizont. Der Meteorologe Georg Kerath kann genau erklären, warum sich plötzlich ein Hauch Skandinavien über die Mark gelegt hat: Die klare Luft ist direkt von der Nordsee ins Brandenburgische gezogen. Kerath hat auch einen wunderbaren Namen dafür erfunden: Champagnerluft. „Die Luft ist so prickelnd wie Champagner – das sollte man genießen und ganz tief durchatmen.“
Zum Durchatmen wird Kerath jetzt wieder mehr Zeit haben: Nach 33 Jahren beim Deutschen Wetterdienst und elf Jahren an der Spitze der Regionalzentrale in Potsdam wurde er am Dienstag in den Ruhestand verabschiedet. Dass Kerath nicht nur Champagnerluft, sondern gerne auch ein Glas Wein oder eine gute Zigarre genießt, darauf ließen die Abschiedsgeschenke seiner Kollegen schließen.
Geboren in Ascheberg in Holstein als jüngster von sechs Geschwistern verschlug es Kerath erst im zweiten Anlauf zur Meteorologie. Dabei hat er die Begeisterung für das Wetter schon in die Wiege gelegt bekommen: Sein Vater war Hobbymeteorologe und verfolgte stets die Seewetterberichte genau, wie sich Kerath erinnert: „Hochs, Tiefs und Millibars – das waren für mich schon als Kind keine fremden Dinge.“
Trotzdem schrieb er sich nach einer Lehre zum Maschinenschlosser Anfang der 1970er Jahre zunächst für ein Maschinenbaustudium an der Technischen Universität Berlin ein. Mit der Hoffnung auf eine bodenständige Ausbildung fand er sich jedoch desillusioniert in völlig überfüllten Vorlesungen wieder. Und nicht nur der Massenbetrieb schreckte ihn ab. „Da ging es nur um tote Materie“, sagt Kerath. Anders bei der Meteorologie, für die er bald an die Freie Universität wechselte: „Da arbeitet man am lebenden Objekt, das Wetter ändert sich permanent“, schwärmt der Wettermann noch heute. Längst braucht er kein Thermometer mehr, um die Temperatur zu bestimmen. „Das ist eine Frage der Routine.“ Ob es Regen geben wird oder nicht, erkennt Kerath beim Blick in den Himmel.
1979 begann er seine Karriere beim Deutschen Wetterdienst. Nach dem Referendariat kam er zum Flugwetterdienst in Berlin-Tempelhof und beriet die amerikanischen Piloten vor ihren Flügen. Denn über der DDR durften sie damals nur in vergleichsweise niedriger Höhe fliegen – „immer im Wetter“, wie Kerath erklärt.
Spannend war diese Zeit für ihn aber auch aus einem anderen Grund: Immer wieder landeten polnische Maschinen mit Ziel Schönefeld auf dem Militärflughafen im Westteil der Stadt – entführt von verzweifelten Polen, die außer Landes wollten. Das sei so häufig passiert, dass man den Namen der polnischen Fluggesellschaft „Lot“ schon scherzhaft als Abkürzung für „Landet oft in Tempelhof“ verstand, erinnert sich Kerath: „Manche Piloten kannten wir dann schon.“
Unvergessen bleibt ihm auch ein Nachtdienst, als am Sonntagmorgen plötzlich ein polnisches Agrarflugzeug auf dem Flugfeld stand. Die drei Flüchtlinge hatten einen roten Stern an den Rumpf der klapprigen Maschine gemalt, um von den Russen unbehelligt fliegen zu können: „Der Farbtopf stand noch auf dem Sitz.“
Nach Potsdam kam Georg Kerath 1995, fünf Jahre später wurde er nicht nur Niederlassungsleiter, sondern auch Chef der Regionalzentrale, die unter anderem für Unwetterwarnungen in Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zuständig ist und eng mit den Behörden zusammenarbeitet.
Prägendes Ereignis der ersten Jahre in der neuen Führungsrolle war das Unwetter 2002, bei dem in Berlin zwei Kinder umkamen. „Damals gab es viel Kritik“, erinnert sich Kerath. Seitdem hat sich aber auch viel geändert: Ein neues System wurde entwickelt, mit dem Feuerwehren und Katastrophenschutz laufend online über die Wetterlage informiert werden. Das System sei jetzt deutschlandweit im Einsatz und gelte europaweit als vorbildlich.
Auch wenn man als Meteorologe „immer im Dienst“ ist, wie Kerath bei Urlaubsreisen oft erfahren hat – bei drohenden Unwettern wird die Arbeit der Wetterpropheten erst richtig spannend. „Es geht darum, Zugbahnen, Windstärke und Niederschläge äußerst präzise vorherzusagen“, erklärt er: „Wir können das Erscheinen von Katastrophen nicht verhindern, aber rechtzeitig davor warnen.“ Deshalb seien die Tiefdruckgebiete, die für Veränderung sorgten, bei Meteorologen auch beliebter als Hochs, die oft tagelang unbeweglich bleiben. Die früher übliche Benennung der Tiefs mit Frauennamen habe er daher immer als Kompliment verstanden, sagt Kerath: „Frauen bringen doch auch im Leben den Schwung rein.“
Seine eigene Frau lernte Kerath beim Urlaub in Schweden kennen, wo es so oft das „Champagnerwetter“ gibt. Ein Haus in den Schären nördlich von Umeå haben die beiden bis heute – neben dem Eigenheim bei Oranienburg. Georg Kerath freut sich nun auf lange Sommer in Nordschweden, auf selbstgefangenen Lachs, auf mehr Zeit für Tennis, zum Schwimmen oder Radfahren. Und auf eine ordentliche Prise prickelnder Champagnerluft.
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