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Homepage: Der Zaun des Anstoßes

Prof. David Kretzmer von der Hebrew University an der Uni Potsdam über den „Rechtsstatus der besetzten Gebiete“

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Prof. David Kretzmer von der Hebrew University an der Uni Potsdam über den „Rechtsstatus der besetzten Gebiete“ Von Carsten Dippel Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wird derzeit eine äußerst heikle Frage verhandelt: Entspricht der von Israel errichtete Zaun zur Abwehr palästinensischen Terrors, der einmal 700 Kilometer lang sein wird, internationalem Recht? Israel sieht darin ein legitimes Mittel zur Selbstverteidigung. In punkto Terrorabwehr zeigte der bisher gezogene Schutzwall tatsächlich Erfolge. Den Palästinensern sind die Sperranlagen hingegen ein Dorn im Auge. Sie protestieren gegen die stillschweigende „Landnahme“, denn der Zaun folgt nicht exakt der seit 1967 geltenden Waffenstillstandslinie, sondern schneidet zum Teil tief in palästinensisches Autonomiegebiet ein. In Europa, zumal in Deutschland, wecken die Bilder von „Mauer und Stacheldraht“ unweigerlich düstere Erinnerungen. Laut einer im letzten Jahr EU-weit geführten Studie halten viele Europäer die Politik Israels gar für die größte Bedrohung des Weltfriedens. Eine Wahrnehmung, die sich aus der medialen Präsenz stets abrufbarer Bilder erklären lässt: Steine werfende Kinder stellen sich einer hochgerüsteten Armee entgegen, Kampfhubschrauber werfen Bomben auf Flüchtlingslager. Im Kontrast dazu von Selbstmordattentätern zerfetzte Linienbusse oder Straßencafés in Jerusalem und Tel Aviv. Die Wirklichkeit indes scheint sehr viel komplizierter, wie David Kretzmer, Professor am Minerva Zentrum für Menschenrechte der Hebräischen Universität in Jerusalem und ausgewiesener Kenner dieser komplizierten Materie, betont. Jahrelang war er Vizepräsident des UN-Menschenrechtsausschusses, hat unzählige Bücher zur Menschenrechtsproblematik im Nahostkonflikt veröffentlicht und sich insbesondere mit deren juristischen Implikationen befasst. Auf Einladung des Menschenrechtszentrums der Universität Potsdam sprach er am Montag an der Universität Potsdam zum „Rechtsstatus der besetzten Gebiete“. Um die heutige Spirale der Gewalt, die von Terror und Vergeltung geprägt ist, zu verstehen müsse man unbedingt in die Vergangenheit schauen. So habe vor allem die zweischneidige Politik der Kolonialmächte England und Frankreich zur Entstehung des Konfliktes beigetragen, die nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur den gesamten Nahen Osten unter sich aufteilten, sondern auch Juden und Arabern das Gleiche versprachen. Bis 1948 blieb Palästina britisches Mandatsgebiet. Im November 1947 beschloss die UNO einen Teilungsplan, der von den Vertretern der jüdischen Bevölkerung akzeptiert, von der arabischen Seite jedoch abgelehnt wurde. So folgte auf die Gründung des Staates Israel 1948 der erste Nahostkrieg, bei dem die einfallenden arabischen Armeen überraschend geschlagen wurden. Israel gewann zwar Land hinzu, jedoch wurde die „Westbank“ von Jordanien besetzt. Für die Palästinenser interessierte sich damals niemand. Erst mit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberte Israel das Gebiet bis zum Jordan. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) mit Jassir Arafat an der Spitze setzte jahrzehntelang auf Guerillakrieg und Terror, um Israel aus den besetzten Gebieten zu vertreiben. Doch auch innerhalb Israels wurden im Laufe der 80er Jahre immer mehr Stimmen laut, die den Abzug der eigenen Truppen aus der „Westbank“ forderten. Zu Beginn der 90er Jahre schien erstmals die Vision einer friedlichen Koexistenz von Israelis und Palästinensern Realität werden zu können. Das Oslo-Abkommen von 1993 sah bis zur Gründung eines Staates Palästina eine Dreiteilung der „Westbank“ vor: Eine A-Zone in palästinensischer Selbstverwaltung, eine B-Zone mit palästinensischer Zivil- und israelischer Sicherheitshoheit und eine C-Zone mit israelischer Zivil- und Sicherheitshoheit. Die katastrophale Entwicklung der vergangenen Jahre hat den Oslo-Prozess jedoch scheitern lassen. Nüchtern betrachtet, so Kretzmer, könne man im Moment kaum mehr als den Versuch unternehmen, aktuelle Probleme pragmatisch zu lösen, wobei er den Zaun langfristig für wenig sinnvoll hält. Selbst die juristischen Fragen spiegeln die politische Brisanz der aktuellen Diskussion wider: Gibt es derzeit einen regulären Krieg zwischen zwei Staaten, oder ist es ein begrenzter bewaffneter Konflikt? Terror um des Terrors Willen oder nationaler Befreiungskampf der Palästinenser? Wie kann sich eine Demokratie gegen Terror wehren? Ein großes Problem sieht der Jurist und Menschenrechtsexperte Kretzmer momentan in der Haltung Arafats, der keinerlei Interesse an einer Entschärfung der Situation zeige. Angesichts der verhärteten Fronten scheinen die Probleme in naher Zukunft wohl kaum lösbar zu sein – mit oder ohne Zaun.

Carsten Dippel

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