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Homepage: „Deutsche von sich selbst befreit“

Prof. Konrad H. Jarausch über den Streit zum Gedenktag des 8. Mai und den Lernprozess der Deutschen

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Prof. Konrad H. Jarausch über den Streit zum Gedenktag des 8. Mai und den Lernprozess der Deutschen In Potsdam wurde im Vorfeld des 8. Mai über die Begrifflichkeit des Gedenktages diskutiert. Die Stadt einigte sich statt „60. Jahrestag des Kriegsendes“ auf „60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus“. Halten Sie „Befreiung“ für angemessen? Für mich ist dieser Terminus in doppelter Hinsicht etwas problematisch. „60. Jahrestag des Kriegsendes“ ist eine neutrale Sachbeschreibung während die Formulierung „Befreiung vom Faschismus“ eine politische Interpretation ist. Ich kann den Begriff der Befreiung zwar verstehen. Er ist auch für eine Minderheit richtig, etwa für Antifaschisten, für Opfer und Gegner des Nationalsozialismus, die sich wirklich am 8. Mai 1945 befreit gefühlt haben. Die große Mehrheit der Bevölkerung war zwar froh überlebt zu haben, hat das Kriegsende aber dennoch als Niederlage empfunden. Es gab im Jahre 1945 noch einen ganz erheblichen Bevölkerungsteil, der sich im Nationalsozialismus engagiert hatte. Es gab beispielsweise viele Selbstmorde, das macht niemand, der sich befreit fühlt. Es gab Mitläufer und Opportunisten, aber es gab auch Nationalisten und Patrioten, die über den Nationalsozialismus hinaus davon ausgingen, dass Deutschland als Land besiegt worden war, denn es wurde schließlich besetzt. Kommt es nicht auch einer Verharmlosung gleich, zu sagen, die Deutschen seien von Hitler befreit worden? Schließlich hatte das NS-System einen starken Rückhalt in der Bevölkerung. Wenn die Deutschen von etwas befreit wurden, dann von der nationalsozialistischen Diktatur als Gewalt- und Kriegsherrschaft, die auch den Holocaust zu verantworten hatte. Das ist richtig. Aber die Deutschen waren auch selbst an diesem System beteiligt. Sie wurden also gleichsam von sich selbst befreit. Befreiung ist also richtig in Hinsicht auf das Regierungssystem, aber es ist falsch mit Blick auf die Täter. Manch ein Zeitzeuge mag auch angesichts der Vergewaltigungen durch die Rote Armee zum Kriegsende nicht von Befreiung sprechen. Das kann ich gut verstehen. Aber in diesem Krieg sind so viele schreckliche Verbrechen von den Deutschen begangen worden, vor allem an den verschiedenen Ostfronten. Da war es nicht so überraschend, dass von der Roten Armee entsprechende Gräuel auch an den Deutschen verübt wurden. Eine Minderheit von Kommunisten, Sozialisten und bürgerlichen Hitlergegnern hat diese Dinge dann auch in Kauf genommen. Ein Krieg ist keine saubere Angelegenheit, Krieg ist blutig und schrecklich. Man muss sich auch vor Augen führen, dass Hitler nicht freundlicher Überredung gewichen ist, sondern es bedurfte einer großen Koalition und sechs Jahren Zeit, um den Nationalsozialismus zu besiegen. Verfolgte des DDR-Regimes fühlen sich im Rückblick nicht als befreit. Das habe ich schon vor zehn Jahren von dem russischen Dissidenten, Herrn Etkind gehört, der sagte, es war wirklich eine Tragödie, dass der Kommunismus den Faschismus besiegt hat, denn er hat den Russen fünf weitere Jahrzehnte Verknechtung gebracht. Dieser Kausalzusammenhang ist sicher vorhanden. Ich würde in der gegenseitigen Abschätzung dann aber doch sagen, dass der Nationalsozialismus – das Leiden der Opfer des Stalinismus in allen Ehren – doch wesentlich mehr Tote zu verantworten hatte. Seit der Weizsäcker-Rede von 1985 gab es in der Bundesrepublik ein Einvernehmen für den Befreiungs-Begriff. Bedarf es nun einer Revision dieser Sicht? Das Datum hat sich in der Erinnerung gewandelt. Insofern ist das Sprechen von „Befreiung“ heute ein Zeichen eines anderen Geschichtsbewusstseins als des Verständnisses der Zeitgenossen im Mai 1945. Deswegen hat der Begriff inzwischen eine Art von Berechtigung erlangt. Er zeigt auch, dass man sich psychologisch vom „Dritten Reich“ distanziert hat, dass man nicht mehr nationalistisch denkt und dass man nun froh ist, in einer Demokratie angekommen zu sein. Dieser Lernprozess spiegelt sich in dem Terminus „Befreiung“ wieder, der im historischen Zeitraum für eine Minderheit zutraf, jetzt aber für das Bewusstsein der Mehrheit Gültigkeit erlangt hat. In Berlin wurde nun darüber gestritten, ob man am 8. Mai auch den deutschen Opfern des Krieges gedenken sollte. Ist dies am 8. Mai möglich? Ich denke schon. Ich bin persönlich gegen privilegierte Tote. Tote sind tot. Und Leiden sind Leiden. Nur, absolut notwendig ist, dass der Ursachenzusammenhang klar wird. Das ist das Problematische, wenn man sich nur auf Bombenkrieg, Vergewaltigung, Flucht und Vertreibung der Deutschen konzentriert. Denn all diese Leiden der deutschen Zivilbevölkerung hängen damit zusammen, dass die Deutschen den Krieg begonnen haben, Europa weitgehend verwüstet und unterjocht haben und Verbrechen an anderen europäischen Völkern verübt haben. Dies schlug am Ende des Krieges auf die Deutschen zurück, das ist der ursächliche Zusammenhang. Diese Leiden sind durchaus real. Mein Vater ist im Januar 1942 in Russland gestorben, ich bin Halbwaise und mein ganzes Leben ist dadurch beeinflusst worden. Das wegdrücken zu wollen, wäre verantwortungslos. Aber man muss klar machen, warum diese Leiden geschehen sind. Den deutschen Opfern kann nur unter der Bedingung gedacht werden, dass das Leid zurückgebunden wird auf seine eigentlichen Ursachen Wer derzeit die deutschen Opfer anspricht, wird schnell in die rechte Ecke der gedrängt. Mit dem Gedenken an die deutschen Opfer entsteht vielmehr eine Chance, den Rechten das Thema aus der Hand zu nehmen. Die Durchsetzung einer kritischen Sicht auf 1945 mit der Vokabel „Befreiung“ ist eine der großen Errungenschaften der Nachkriegsepoche. Sie ist Teil eines Lernprozesses der stattfand, indem man sich eben von den eigenen Leiden weitgehend gelöst hat. Dadurch konnte man für sich annehmen, dass andere Gruppen wie Polen, Juden, Sinti und Roma oder Homosexuelle die eigentlichen Opfer waren. Das ist so in Ordnung und auch ein bemerkenswerter Prozess. Doch heute, fast zwei Generationen nach den Ereignissen, müsste man an dem Punkt angekommen sein, an dem man auch über die deutschen Leiden sprechen und sie in Bezug mit den Leiden der anderen setzen kann. Diese Zusammenhänge müssen immer im Blick behalten werden. Unter diesem Blickwinkel sollte man also auch den deutschen Opfern gedenken. Sonst wäre dies der Nährboden für Ressentiments der Rechten. Der Krieg hat über 50 Millionen Menschen das Leben gekostet. Am 8. Mai müsste doch all diesen Opfern gedacht werden? Durchaus. Dabei müsste die Trauer das zentrale Element sein. Und auch der Entschluss, diese Art von Auseinandersetzung zwischen Menschen nicht mehr zu wiederholen. Die NPD will am 8. Mai in Berlin demonstrieren. Wie sollte man damit umgehen? Man begegnet dem am besten, wenn man eine andere Art von Gedenken umsetzt, indem man sich kritisch an dieses Datum erinnert. Wenn man der NPD den öffentlichen Raum nicht überlassen will, muss man auf die Straße gehen und dagegen demonstrieren. Man muss ein anderes, kritisches Gedenken dagegen setzten. Einfach nur zu schimpfen nutzt niemandem etwas. Welche Bedeutung messen sie dem Gedenktag des 8. Mai zu? Der 8. Mai ist für mich ein Durchgangstor von den vorausgegangenen Schrecken zu einer Besinnung die danach kommt. Die beiden Sachen hängen ursächlich zusammen. Es gibt die katastrophale erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und es gibt dann doch einen langfristigen Lernprozess der Deutschen, den ich als Umkehr bezeichnen möchte. Das Gespräch führte Jan Kixmüller Konrad H. Jarausch (63) ist Co-Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF). Zuletzt erschien von dem Historiker: „Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945-1995“.

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