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Von Jana Haase: Die Akte Hirschbruch

Sechs neue Stolpersteine im März 2009: Schüler erforschen die Lebensgeschichten von Potsdamer Juden

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Federn wären zu gefährlich gewesen. Denn mit deren Spitzen kann man sich die Pulsadern aufschneiden – und sich so der drohenden Deportation entziehen. Dass sie elend sterben würden, war den meisten Juden ohnehin klar, als sie die so genannte „Vermögenserklärung“ ausfüllten – denn das war die letzte Aktion vor dem Abtransport ins Konzentrationslager. Als der Potsdamer Moritz Hirschbruch vor dem sechzehnseitigen Formular sitzt, geben ihm die Beamten im Sammellager in Berlin deswegen statt einer Tintenfeder einen einfachen Kopierstift.

„Das sieht ja aus wie Bleistift“, sagt Peter Hütte. Der 14-jährige Helmholtz-Schüler ist mit seinem Religionskurs ins Brandenburgische Landeshauptarchiv gekommen, sitzt jetzt an einem Tisch im Lesesaal und beugt sich über die Akte Hirschbruch. Monika Nakath nickt. Radieren kann man die Zeilen trotzdem nicht, erklärt die Abteilungsleiterin des Archives dann. Insgesamt 42 000 „Vermögenserklärungen“ gehören zum Archivbestand auf dem Windmühlenberg, sagt sie. Die Akten stehen für 42 000 deportierte Juden sowie Sinti und Roma. „Seltsam, dass so das Schicksal von diesen Leuten besiegelt wurde“, überlegt Peter Hütte.

Mit dem Besuch auf dem Windmühlenberg führen die Helmholtz-Schüler das „Stolperstein“-Projekt weiter – gemeinsam mit einem Religionskurs der Voltaire-Gesamtschule: Am 9. März 2009 sollen in Potsdam wie berichtet zum zweiten Mal „Stolpersteine“ für ermordete Juden verlegt werden (siehe Kasten). Wie bei der ersten Verlegung im Juli 2008 recherchieren Schüler beider Schulen vorher die Lebensgeschichten der Ermordeten.

Insgesamt sechs jüdischen Potsdamern sind sie dabei auf der Spur: Neben dem Stein für Moritz Hirschbruch in der Kurfürstenstraße 10a soll auch an Franz Bernhard in der Berliner Straße 53, an Auguste Zöllner in der Jägerstraße 8, an Anna Zielenziger in der Gutenbergstraße 61 und das Ehepaar Paul und Elisabeth Salinger in der Jägerallee 25 jeweils mit den pflastersteingroßen Gedenkplatten erinnert werden, wie der Rechtshistoriker Wolfgang Weißleder, einer der Stolperstein-Initiatoren in Potsdam, erklärt. Koordiniert wird das Projekt in Potsdam von der Stadtverwaltung.

Viel Zeit bleibt allerdings nicht mehr für die Forschungsarbeit. „Wir werden das so weit es geht im Unterricht machen“, sagt Religionslehrer Ingo Krause vom Helmholtz-Gymnasium. Vor dem Archivbesuch habe er mit seinen Schülern schon über verschiedene Formen von Gedenken diskutiert – und dabei auch die Kritik am „Stolperstein“-Projekt besprochen. Die Namen der Ermordeten würden auf den Stolpersteinen erneut mit Füßen getreten, argumentieren Gegner des Gedenkprojektes.

Die Ergebnisse der Recherchen stellen die Schüler am 9. März 2009 im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) im Kutschstall am Neuen Markt vor. Denn dort wird das Landeshauptarchiv zur zweiten Verlegung der Stolpersteine eine Sonderausstellung zum Thema Judenverfolgung in Brandenburg vorbereiten – Kuratorin ist Monika Nakath.

„Es ist mal was anderes“, sagt Peter Hütte nach einer Stunde im Archiv. „Spannend, genaueres über die Leute zu erfahren und ihre Handschrift zu lesen“, findet sein Klassenkamerad Wolf Weimer. Demnächst wollen die beiden in Jerusalem anrufen. Denn dort soll ein Nachfahre von Moritz Hirschbruch leben.

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