Homepage: „Die Börsen erinnern an die Natur“
Prof. Arkady Pikovsky über Komplexe und Chaotische Systeme, Vogelschwärme und Lottozahlen
Stand:
Herr Prof. Pikovsky, Sie beschäftigen sich mit Dynamik und Komplexität. Ihr Interesse gilt der Natur von Systemen. Lassen sich damit auch Lottozahlen vorhersagen?
Es geht um Vorhersagen von chaotischen Systemen. Die Lottozahlen, die rein zufällig sind, kann man nicht vorhersagen, aber das Wetter – ein klassisches chaotisches System – zumindest für drei Tage schon. Man hofft, dies auf Hurrikans erweitern zu können. Das ist eine große Herausforderung. Viele Forscher der Chaostheorie arbeiten daran.
Und die Börsen?
Ich kenne viele Wissenschaftler, die sich daran versucht haben. Science of Complexity heißt das Fachgebiet, das in solchen Systemen wiederkehrende Strukturen und Gesetzmäßigkeiten sucht. Bisher hat dies aber wenig Zuhörer bei den Börsianern gefunden.
Gibt es an den Börsen wiederkehrende Muster?
Weltwirtschaft ist ohne Zweifel ein komplexes System, genauso wie Weltklima. Es zeigt sich in erster Linie dadurch, dass kleine Einwirkungen, die einzeln für sich positiven Effekt haben, in ihrer Summe zu ganz unerwünschten Folgen führen können. Auch einzelne Börsenereignisse erinnern an die Natur: Wenn man von erdrutschartigen Kurseinbrüchen spricht, liegt der Vergleich mit einem Erdbeben auf der Hand.
Tiefdruckgebiete, Schneckenhäuser, Fraktale haben ähnliche Formen. Was schließen Sie daraus?
Solche Ähnlichkeiten sind nicht zufällig, hinter ihnen müssen gleiche mathematische Strukturen stecken. Gerade diese Spannbreite macht dieses Forschungsgebiet auch für Studenten sehr attraktiv.
Was ist das Besondere am Forschungsbereich Dynamik und Komplexität?
An der Universität Potsdam sind Komplexe Systeme einer der Schwerpunkte. Hier sind viele Forscher der Physik, Mathematik und sogar der Psychologie, die auf diesem Gebiet arbeiten. Auch in der Region Berlin-Brandenburg gibt es zahlreiche Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen. Wir haben vor wenigen Wochen einige von ihnen hier in Potsdam zusammengebracht, damit sie sich über neueste Aspekte komplexer dynamischer Systeme austauschen können. Von biologischen Systemen, etwa Zeltsystemen, bis hin zur Astrophysik, die Sonne, Neutronensterne und planetare Dynamik gab es Neuigkeiten. Auch waren die Physik, Mathematik, Biologie, Ökologie, Kognition und Geowissenschaften vertreten. Das Treffen sollte ein Anstoß für weitere gemeinsame Aktivitäten sein. Zusammen sind wir stärker.
Welche Neuigkeiten gab es?
Physiker der Universität Potsdam um Professor Frank Spahn haben neuartige Propellermuster in Saturnringen vorhergesagt – und diese Strukturen wurden tatsächlich vor kurzem entdeckt! Professor Ralf Engbert vom Institut für Psychologie berichtete über neue mathematische Modelle, die spontane Augenbewegungen beschreiben. Der Mathematiker Professor Matthias Holschneider entwickelt neue Methoden zur Berechnung des Erdmagnetfeldes.
Wie kommen diese sehr unterschiedlichen Disziplinen zusammen?
Es gibt viele Überschneidungen zwischen komplexen Strukturen, komplexer Dynamik und der Chaostheorie. Es gibt auch Anwendungen, dabei geht es unter anderem um die Frage, wie sich solche in der Natur vorkommenden Strukturen kontrollieren lassen. Unerwünschte Strukturen sollen beseitigt und nützliche erzeugt werden. Zuerst wird geschaut, welche Struktur in der Natur vorzufinden sind, dann wird in Laborexperimenten der Versuch unternommen, diese zu kontrollieren.
Ein Beispiel bitte?
Einige Krankheiten werden auf bestimmte Bewegungsmuster zurückgeführt, etwa Parkinson. Wenn man nun gezielt gewisse Prozesse im Gehirn steuern könnte, sozusagen durch einen Gehirnschrittmacher, dann würde man bestimmte Symptome von Parkinson beseitigen. Ein anderes interessantes Forschungsthema ist, wie Tiere oder Menschen in kollektivem Verhalten geordnete Formationen bilden können. Es geht beispielsweise um die Strukturen von Vogelschwärmen.
Gibt es dabei Gesetzmäßigkeiten?
Physiker und Mathematiker versuchen anhand rein mathematischer Modelle, etwa das Zusammenleben von Grashüpfern in der Wüste von Utah, die sich in Formationen fortbewegen, zu beschreiben. Biologen versuchen dieselbe Frage experimentell anzugehen. So wurden zum Beispiel in einem Experiment Grashüpfer blind gemacht und ihre Bewegung gemessen. Jetzt versuchen Wissenschaftler, gemeinsame Forschungsteams zu bilden, um Gesetzte des kollektiven Verhaltens zu formulieren.
Wie schaffen es Vogelschwärme, die Richtung zu wechseln?
Die Idee ist, dass es keinen Oberdirigenten gibt: Es wird vermutet, dass die Vögel nach rechts und links schauen, um Zusammenstöße zu vermeiden – und das allein reicht schon aus, einen geordneten Vogelschwarm zu bilden. Darauf müssen weitere Experimente aufbauen, um diese Hypothese zu klären.
Welche Anwendungen kann Ihre Forschung in Zukunft unterstützen?
Etwa die Entwicklung von besseren Lasern oder effizienteren chemischen Reaktionen. Auch das bessere Verständnis von biologischen Objekten führt zu neuen medizinischen und physiologischen Anwendungen. Die Entwicklung eines modernen, effizienten Verkehrssteuerungssystems basiert auch auf Analyse der komplexen Dynamik.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
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