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Landeshauptstadt: Die Ein-Euro-Musiker

Das Kammerensemble Arpeggiato versucht sich mit Hilfe des Arbeitsamtes in Potsdam zu etablieren

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Das Kammerensemble Arpeggiato versucht sich mit Hilfe des Arbeitsamtes in Potsdam zu etablieren Von Nana Heymann Der Kleiderständer muss raus, es ist ohnehin schon eng genug in dem spartanisch eingerichteten Raum in der ersten Etage des jüdischen Kulturzentrums Kibuz an der Berliner Straße 148. Notenständer und große, sperrige Instrumente stehen herum. Wenn die sechs Musiker des Kammerensembles Arpeggiato dazwischen herumwuseln, um sich auf die bevorstehenden Proben vorzubereiten, kommen sie kaum aneinander vorbei. Also packt Sviatoslav Zhuk kurzerhand den Ständer und stellt ihn in den Flur. Kurz darauf dringen Klänge von Rossini, Strauß und Bach durch das Gebäude. Natürlich sind diese Probebedingungen für die erfahrenen Musiker alles andere als ideal. Doch die Spätaussiedler aus der Ukraine, Weißrussland und Russland beschweren sich nicht. Die Möglichkeit, die sich ihnen mit diesen Proben bietet, ist eine außergewöhnliche: Sie sind Teil eines Projekts, das von der Potsdamer Arbeitsgemeinschaft zur Grundsicherung Arbeitssuchender (Paga) gefördert wird. Es trägt die trockene Bezeichnung „Maßnahme Mehraufwandsentschädigung Künstler“ und ermöglicht den arbeitslosen Musikern, mit Proben und Konzertauftritten ihr Arbeitslosengeld II etwas aufzubessern. Während also andere Arbeitslose für einen Euro pro Stunde Laub harken, können sie ihrer Leidenschaft nachgehen. „Ziel der Maßnahme ist es, diese Konzertmusiker, die einst in ihrer Heimat hoch angesehen waren, in ihren Beruf zurück zu führen“, sagt Peter Döbber, Mitarbeiter des Vereins für Arbeitsmarktintegration und Berufsförderung (AIB). Von ihm stammt die Idee zum Künstlerprojekt. Bei der Paga hatte er dafür Anfang des Jahres einen Antrag auf Finanzierung gestellt. „Das sind allesamt äußerst talentierte Künstler. Es wäre schade, wenn man dieses Potenzial nicht nutzen würde“, sagt der Projektleiter. Seit dem 1. März dieses Jahres läuft das Projekt. Seither proben die Musiker täglich mehrere Stunden, zudem ist für sie jeden Freitag ein so genannter Bildungsteil Pflicht. Den hält Peter Döbber in einem Konferenzraum des AIB persönlich ab. Fünf Stunden lang erteilt er seinen Schützlingen Deutschunterricht, führt mit ihnen ein Bewerbungstraining durch oder macht sie mit der deutschen Gesetzeskunde vertraut. Sein größter Wunsch wäre es, den Musikern den Weg in die Selbständigkeit zu ebnen. „Der gegenseitige Rückhalt in dem Ensemble hat vielen von uns die Eingewöhnung hier in Potsdam erleichtert“, sagt Michail Ganevskiy. Der Cellist kam vor sechs Jahren aus Russland in die brandenburgische Landeshauptstadt. In seiner Heimat hatte er das Konservatorium absolviert und war gefragter Orchestermusiker – hier musste er noch einmal ganz von vorne anfangen. Doch mit dem Ensemble hat er nun endlich eine Aufgabe, die ihn erfüllt. Einige seiner heutigen Musikkollegen lernte er im Kulturzentrum Kibuz kennen. Der Entschluss, gemeinsam Musik zu machen, sei schnell gefasst gewesen. Anfangs bestand die lose Truppe aus vier Mitgliedern, mittlerweile sind es sieben. Ein Repertoire von etwa 60 Stücken hat sich die Gruppe seit März erarbeitet: Vivaldi, Tschaikowski, Mozart, Ravel, aber auch moderne Unterhaltungsmusik, denn Pianist Yukhym Weisman ist ein leidenschaftlicher Jazzfan und wurde dafür bereits mit etlichen Preisen ausgezeichnet. Manchmal spielt er mit dem Gedanken, diese Leidenschaft mit einem weiteren Projekt zu vertiefen. Peter Döbber ist von diesem Gedanken durchaus begeistert: „Das könnte die Musikszene in Potsdam sehr bereichern.“ Vorerst steht jedoch für alle Mitglieder des Ensembles die Arbeit mit Arpeggiato im Vordergrund. Die Finanzierung für ein weiteres halbes Jahr hat Paga-Chef Frank Thomann mit einer Sondergenehmigung gerade erst gesichert. Er hatte das Ensemble während eines Auftritts in der Arbeitsagentur Potsdam erlebt und war von dem lebendigen Spiel der Musiker sofort begeistert. Wie es für sie allerdings nach Ablauf der Fördermaßnahme weitergehen wird, ist bislang offen. Peter Döbber hofft, dass die sieben Künstler auch weiterhin die Möglichkeit haben werden, an ihren musikalischen Fertigkeiten zu arbeiten, um sich in Potsdamer Kulturszene zu etablieren.

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