Landeshauptstadt: Die Fahrstuhl-Lobbyisten
Am Bahnhof Griebnitzsee fehlt ein Aufzug für Rollstuhlfahrer – nun sammeln Schüler Unterschriften
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Babelsberg - Es geht um die Treppe aus dem Fußgängertunnel an der Nordseite des S-Bahnhofs Griebnitzsee. Sie zu erklimmen ist recht beschwerlich, wenn man ein Fahrrad und dazu eine Tasche tragen muss. Auch Hanna, Agnes, Caroline und Katharina aus der Klasse 9a der nahe gelegenen Marienschule wissen genau, wie sich das anfühlt. An jedem Schultag benutzen sie die Treppe. „Das Fahrrad und die Tasche mit dem Schulsachen zu tragen, ist schon anstrengend“, sagt Hanna.
Am Ausgang zur Rudolf-Breitscheid-Straße gibt es an dem Bahnhof weder Rolltreppe noch Aufzug. Schwierig ist es auch für Eltern, die einen Kinderwagen die Stufen hinauf- oder hinabtragen müssen. Und ein unüberwindliches Hindernis ist die Treppe für Rollstuhlfahrer. Dennoch wird der Bahnhof auf der Internetseite der Bahn als stufenfrei bezeichnet. Der Grund dafür ist, dass es am südlichen Tunnelausgang zum Uni-Campus und am S-Bahnsteig selbst einen Aufzug gibt. Der Zugang zum Regionalbahnsteig ist ebenerdig.
Den etwa 370 Marienschülern bringt der Aufzug auf der südlichen Seite allerdings recht wenig. Viele von ihnen kommen mit der S-Bahn, die meisten haben ein Fahrrad dabei. Den anderen Ausgang zu benutzen, bedeutet einen Umweg von mehreren Hundert Metern durch die Straßenunterführung an der August-Bebel-Straße. Als sich der elfköpfige Kurs im Wahlpflichtfach Politik Gedanken über bürgerschaftliches Engagement machte, kamen die Teilnehmer deshalb schnell auf das Thema zu sprechen. „Der Bahnhof ist gar nicht barrierefrei – hier muss etwas passieren“, sagt Katharina.
Ihr Lehrer, Schulleiter Thomas Rathmann, brachte die Schüler darauf, Unterstützer für ihre Forderung zu suchen. „In dem Wahlpflichtfach bin ich nicht an einen festen Lehrplan gebunden“, sagt er. So könne man besser auf aktuelle Themen eingehen. Beispielsweise beschäftige sich die zehnte Klasse derzeit mit der Situation in der Ukraine. Die Schüler hätten auch Kunst oder Französisch auswählen können, entschieden sich aber für Politik. „Ich wollte mehr erfahren, als in den Fernsehnachrichten kommt, und mit anderen darüber diskutieren“, sagt Caroline.
Die Schüler aus der 9a gingen zunächst einmal an den Ort des Problems und fragten Potsdamer und Pendler nach ihrer Meinung. „In den letzten vier Wochen waren wir immer dienstags und donnerstags am Bahnhof und haben Unterschriften gesammelt“, sagt Katharina. Bei der Sammelaktion stellte sich heraus, dass die Schüler mit ihrer Einschätzung alles andere als allein sind. „Wir haben 640 Unterschriften mit Namen und Adressen“, sagt Agnes. Die wollen die Schüler nun der Deutschen Bahn vorlegen.
Eine Unterstützerin haben die Schülerin schon. „Sowohl ältere Menschen, Familien mit Kinderwagen als auch Rollstuhlfahrer sind darauf angewiesen, ohne Hindernisse zur Bahn zu gelangen“, schreibt Potsdams CDU-Chefin Katherina Reiche in einen Brief an die Schüler. Die Schulpatin der Marienschule ist seit Dezember Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. „Das passt natürlich gut. Sie hat uns gleich noch ein paar Ansprechpartner genannt“, so Rathmann. Direkt helfen konnte Reiche allerdings auch nicht. Für den Bahnhof seien das Land Brandenburg und die Bahn verantwortlich, so Reiche. Der Bund stelle dem Land in diesem Jahr insgesamt 470 Millionen Euro bereit – wie das Land das Geld verwende, entscheide es selbst.
Beim zuständigen brandenburgischen Infrastrukturministerium kennt man die Initiative der Schüler noch nicht. Grundsätzlich fördere das Land den barrierefreien Ausbau, allerdings seien die Mittel dazu ausgeschöpft, hieß es auf PNN-Anfrage. „Wir haben bereits jetzt schon mehr Projekte auf der Warteliste als Mittel“, sagte ein Ministeriumssprecher. Die Bahn habe sich verpflichtet, bei Bahnhöfen ab 1000 Ein- und Aussteigern pro Tag für Barrierefreiheit zu sorgen, so der Sprecher. Griebnitzsee habe natürlich deutlich mehr.
Bis zur Deutschen Bahn ist die Forderung bisher auch nicht durchgedrungen. Allerdings sieht man dort auch keinen Handlungsbedarf. Weil die Bushaltestelle des Verkehrsbetriebs auf der südlichen Seite des Bahnhofs liege, habe man dort einen Aufzug installiert, so ein Bahnsprecher. Zusammen mit dem Aufzug zum S-Bahnsteig habe das 240 000 Euro gekostet. Das sei mit Bund und Land so vereinbart gewesen. „Eine entsprechende Projektierung und Entwurfsplanung für eine Änderung liegt nicht vor“, hieß es auf PNN-Anfrage. Im Klartext: Die Bahn sieht derzeit keinen Bedarf für einen zusätzlichen Aufzug auf der Nordseite.
Bei der Stadtverwaltung sieht man das anders. „Natürlich könnte die Situation verbessert werden“, so Stadtsprecher Jan Brunzlow. Die nördliche Bahnhofseite sei für Menschen mit Behinderung nur über große Umwege erreichbar. Die Initiative der Schüler, dass die Bahn einen weiteren barrierefreien Zugang baut, sei daher unterstützenswert. Die Schüler der Marienschule wollen daher auch weiter für ihre Forderung werben. „Wir schreiben jetzt Abgeordnete und die Landesregierung an“, sagt die 14-jährige Katharina. Die Briefe bereiten sie im Unterricht vor.
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