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Landeshauptstadt: Die Farben einer Nacht

Michael Reinhardt und Christian Sommer fotografieren für ihre Internetseite das Potsdamer Nachtleben

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Als Michael Reinhardt seine Digitalkamera auspackt, kommt sofort ein Mädchen auf ihn zu. „Kannst du meine Freundin und mich fotografieren?“ Er sagt „ einen Moment noch“ und stellt an seinem Fotoapparat herum. Auch andere sehen ihn, wie er mit seiner unübersehbaren Kamera vor dem Waschhaus steht. Zwei angetrunkene Jungs kommen: „Ein Bild?“

Das in Potsdam an jedem Party-Wochenende bis zu acht Fotografen ausschwärmen, um Jugendliche und Junggebliebene beim Feiern abzulichten, ist auch einer Kanufahrt in einem reißenden Strom zu verdanken. Und der Lust von drei jungen Leute, ein paar Mädchen kennen zulernen und kostenlos durch Clubs zu ziehen. Dies alles erzählt Christian Sommer, einer der Mitbegründer der Internetseite www.localnights.de, auf der seit knapp zwei Jahren die Fotos von Potsdams Partynächten erscheinen.

Michael ist inzwischen fertig. Die beiden jungen Frauen, die zuerst gefragt haben, dürfen als erste vor seine Linse. Viermal blitzt es. Er zeigt den Mädchen die Fotos auf dem Minischirm seiner Kamera. Sie finden die Aufnahmen toll, freuen sich sichtlich. Dann die Jungs: Posend mit Bier stellen sie sich auf. Wieder Blitzlicht, mehrmals. Weitere Jugendliche erscheinen. Nach fünf Minuten zählt Michael 20 Aufnahmen. „Die sind heute scharf auf Fotos“, sagt er. Es ist die Nacht zum vergangenen Sonntag, Null Uhr, die Finalparty im Waschhaus vor dessen Sanierung.

Doch Michael und sein Kollege Christian sind nur nebenbei zum Feiern in die Schiffbauergasse gegangen – sie verdienen ihr Geld mit solchen Fotos. Offenbar mit wachsendem Erfolg: Inzwischen habe man 1,5 bis zwei Millionen Klicks und bis zu 90 000 Besucher pro Monat, dazu rund 6800 registrierte Nutzer im Durchschnittsalter von 22 Jahren – und insgesamt acht Fotografen, sagt Christian Sommer, der selber vor allem mit Glück zum Fotografieren kam: Bei einer Wildwasser-Tour in West Virginia wurde ihm eine herrenlos treibende Kamera ins Boot gespült – und er griff am Schnellsten zu: „Eine unglaubliche Geschichte.“ Inzwischen klingt er stolz, wenn er über das Erreichte spricht: „Unsere Fotos sind nicht einfach Schnappschüsse, sondern haben einen künstlerischen Anspruch.“

Angefangen hat die Seite von ihm und seinen Freunden allerdings wirklich erst mit einfachen Partyfotos, unter welche die Nutzer ihre Kommentare schreiben konnten. „Wir löschen Beleidigungen, die manchmal zu solchen Bildern geschrieben werden, natürlich umgehend – deshalb kommen sie auch kaum noch vor“, sagt Christian. Doch hat die Seite inzwischen mehr Funktionen: Die Macher stellen Clubs vor, weisen auf Trends in Potsdams Nachtleben hin, bewerten Partys. Dazu können angemeldete Nutzer im Forum diskutieren. „Hier haben sich schon einige Pärchen gefunden“, sagt Christian. Doch für den 23-Jährigen und seine Kollegen Michael Reinhardt und Sebastian Baron ist die Seite längst auch das Sprungbrett zu Aufträgen geworden, die wirklich Geld bringen: Sie selbst sehen eine Karriere als Berufsfotografen als durchaus vorstellbar. Christian: „Einige Veranstalter in Potsdam und andere Kunden finden die Fotos so gut, dass wir inzwischen Auftragsarbeiten übernehmen können.“

Ihre Art zu fotografieren nennen sie Elektro-Stil. Was das heißt, demonstriert Christian in der Schinkelhalle, in der an diesem finalen Waschhaus-Abend hunderte Potsdamer zu bekannten Pop-Nummern tanzen. Der großgewachsene Fotograf taucht ein in die Partymassen, wird sofort angesprochen, dreht sich nach links, nach rechts. Blitzlichtgewitter im Schein bunter Scheinwerfer. Das Resultat sind bunte Bilder mit lächelnden, manchmal überschäumend fröhlichen Gesichtern. „Die Farben einer Tanznacht müssen sich in den Gesichtern spiegeln: Das sind die wirklich guten Fotos“, sagt Christian. Nach 15 Minuten hat er 60 Bilder mehr.

Mit ihrem selbst geschaffenen Job sind die localnigths-Erfinder offenbar auch Profis für das Potsdamer Nachtleben geworden. Bunter wünschen sie es sich. Dafür organisieren sie auch selbst Partys. „Bei unserer letzten Feier im Lindenpark kamen nach nur vier Tagen Werbung knapp 700 Leute.“ An solchen Abenden lässt sich viel erleben. Michael erzählt auch von brenzligen Situationen, wenn angetrunkene Typen doch nicht aufs Bild wollen und aggressiv an der teuren Kamera herumreißen. „Natürlich löscht man solche Bilder und versucht die Situation zu entspannen.“ Doch oft passiere so etwas nicht, der Spaß überwiege. Und Mädels haben beide kennen gelernt. „Zu viele“, lacht Christian. Mit Beziehungen sei es nämlich schwer als Eventfotograf: An Wochenenden sei man schwer verfügbar. Denn Zeit kostet der Job. Fünf Minuten pro Bild, sagt Christian, so lange bearbeitet er die Aufnahmen nach. Doch warum sind solche Bilder so beliebt? So richtig wissen es beide nicht. Michael: „Wahrscheinlich präsentiert sich jeder gern, in jedem steckt der Hang zum Laufsteg.“

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