
© Thilo Rückeis
Von Sebastian Leber: Die Flockenmacher
Ein Filmproblem: Wo kommt der Schnee her, der im Drehbuch steht? Hilfe kommt aus Babelsberg
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Seit einigen Tagen ist ihre Arbeit wieder im Kino zu sehen: In „Whisky mit Wodka“, dem gerade angelaufenen Film von Regisseur Andreas Dresen, gibt es eine romantische Kuss-Szene. Da stehen Corinna Harfouch und Henry Hübchen unter einer Brücke, plötzlich berühren sich ihre Lippen, und um sie herum fällt Regen. Diese Tropfen sind hier entstanden, in dem kleinen Büro auf dem Gelände des Filmparks Babelsberg, an den Computern von Quang Tran und seinen Kollegen. „Herr Dresen war sehr präzise“, sagt der 29-jährige Tran. „Er hat uns angewiesen: Da soll ein Tropfen fallen und da auch und da bitte.“ Eine Choreographie auf Tröpfchenebene, nennt der Fachmann das Ergebnis.
Sie können auch Starkregen bei Exozet. Und Schneestürme. Und zugefrorene Seen. „Solche Sätze schreiben sich sehr leicht in Drehbücher“, sagt Tran. „Sätze wie: ,Die Hauptdarsteller fahren durchs verschneite Prag.‘“ Dumm nur, wenn der Streifen dann im Herbst gedreht wird. Dann fragen die Filmemacher bei Quang Tran an.
Früher hat man Schneelandschaften am Set dekoriert. Zum Beispiel mit Zellulose, die Flocken lassen sich haufenweise in der Gegend verstreuen und sehen Schnee recht ähnlich. Leider baut sich der Stoff nicht von selbst ab, das Gelände muss nach dem Dreh aufwendig gereinigt werden. Eine andere Möglichkeit sind Stärke-Verbindungen, die lassen sich hinterher leicht abwaschen, dafür kleben sie an der Kleidung der Darsteller wie Mehl. Inzwischen ist es in der Branche üblich, den Schnee nachträglich am Computer zu generieren – und Exozet hat ein Verfahren entwickelt, das den Arbeitsaufwand dabei deutlich verkürzt. „Aurora“ haben sie es genannt, nach der römischen Göttin der Morgenröte. Wenn Quang Tran die Vorteile von Aurora erklären will, dann sagt er Sätze wie: „Über die gesamte Pipeline hast Du einen Boost von 40 Prozent.“ Damit meint er: Die Bearbeitung von mehreren Filmszenen, die früher zehn Arbeitstage gedauert hätte, schafft seine Firma jetzt in sechs.
Für „Lulu & Jimi“, den jüngsten Oskar-Roehler-Film, schufen sie einen heftigen Platzregen, durch den Hauptdarsteller Ray Fearon mit nacktem Oberkörper joggen konnte. Für die TV-Produktion „Zwei Weihnachtsmänner“ mit Bastian Pastewka und Christoph Maria Herbst ließen sie es in der Berliner Friedrichstraße und am Potsdamer Platz schneien. Die großen US-Produktionen, die sich seit einigen Jahren in Babelsberg einmieten, haben Aurora noch nicht benutzt. Erste Anfragen gab es schon, sagt Tran, „und unser Ziel ist klar: Auch mit denen wollen wir zusammenarbeiten“.
20 Mitarbeiter hat Exozet in Babelsberg, 120 weitere sitzen in Friedrichshain am Osthafen, programmieren Computerspiele fürs Handy, entwerfen Software für Internet-Fernsehen. Mit Andreas Dresen haben sie schon früher mal zusammengearbeitet, bei den Dreharbeiten zu „Sommer vorm Balkon“ sollte eine Schauspielerin eine Leiche mimen, konnte aber die Atembewegungen nicht verbergen. Exozet hat sie am Computer wirklich tot aussehen lassen.
Gerade ist Quang Tran damit beschäftigt, Tiere zum Sprechen zu bringen: Die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten wurde realverfilmt, und jetzt brauchen Esel, Hund, Katze und Hahn menschliche Gesichtszüge. Und dann kommt der nächste Schneeauftrag. Dabei ist so viel zu beachten, sagt Tran: in welchem Tempo die Flocken fallen, wie dicht und in welche Richtungen. Dass die vorderen schärfer sind als die weiter hinten. Dass die schneller fallenden unschärfer sind. Dass die in der Ferne blasser wirken. Durch die Möglichkeiten der Technik sind auch neue Ansprüche gewachsen. „Die Flocken müssen lyrischer fallen“, hat ihn ein Regisseur neulich gebeten. Früher wäre so ein Satz gar niemandem eingefallen.
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