
© Andreas Klaer
Potsdams einzige Schornsteinfegerin: Die Frau vom Dach
Anne-Marie Burandt ist Potsdams einzige Schornsteinfegerin – und besonders in diesen Tagen gefragte Glücksbringerin. Dabei muss sie sich in der Männerdomäne immer wieder behaupten.
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Potsdam - Achtung, Kopf einziehen, sagt Anne-Marie Burandt. Dann öffnet sie die Dachluke und steigt leichtfüßig die alte Holzleiter hinauf. „Ist ein Flachdach“, hat sie eben noch unten, auf festem Grund, zur Beruhigung gesagt. Oben dann wandert der Blick barrierefrei über die zerklüftete Dachlandschaft zwischen Gutenberg- und Brandenburger Straße. Nicht jedermanns Sache. „Höhentauglich sollte man schon sein“, sagt Anne-Marie Burandt. Und ist Sekunden später auf einen Schornstein geklettert, samt Fegeleine mit schwerer Gummikugel. Die 27-Jährige ist Potsdams einzige Schornsteinfegerin. Und in diesen Tagen als Glücksbringerin besonders angesagt. Wenn sie unterwegs ist, kommen immer wieder Passanten auf sie zu und wollen sie einmal anfassen.
„Das ist kein Problem, solange sie vorher fragen und sie keinen Kuss haben wollen“, sagt Burandt und lacht. Die Leute sind eben so. Dass der Schornsteinfeger Glück bringen soll, habe historische Gründe. Früher seien ganze Dörfer und Städte abgebrannt, wenn die dicke Rußschicht im Schornstein Feuer fing. „Ruß brennt super“, sagt sie. „Irgendwann merkte man dann: Der Ruß muss weg. Und der Schornsteinfeger, der das machte, diese Drecksarbeit, war eben ein gern gesehener Mann.“
Öfen und Kamine sind heute wieder sehr angesagt
Es war und ist noch immer eine ganz schöne Drecksarbeit. Auch wenn der Beruf sich natürlich verändert hat und insgesamt doch etwas leichter und sauberer wurde. Heute gehört, neben dem Kehren und Warten von Schornsteinen und Abgasanlagen, auch das Prüfen von Heizungsanlagen dazu, von gewerblichen Dunstabzugshauben, die Abnahme neuer Heizungen, Öfen und Kamine. Das ist wieder sehr angesagt, sagt Burandt, viele bauen sich zusätzlich zur Gas- oder Ölheizung heute Kohleofen oder Kamin in die Wohnung. Und es gibt auch in Potsdam noch Häuser, die allein mit Kohle beheizt werden. Auch oder gerade in den historischen Häusern der Innenstadt. Dort wird ganz traditionell der Schornstein geputzt. Dann steht Burandt in einer Rußwolke, zieht sie sich das schön gefaltete weiße Halstuch, das zur traditionellen Kleidung des Schornsteinfegers gehört, über Mund und Nase, als Atemschutz.
An sich sei der Beruf nicht gefährlicher als andere Handwerksberufe. Laut Statistik sei die Unfallquote sogar relativ gering. Natürlich darf man nicht leichtsinnig sein. „Ich spaziere nicht wie manche Kollegen über die nackten Dachfirste“, sagt sie. Bisher ist ihr noch nichts Schlimmes passiert. Nur einmal knackte auf dem Dach eine Holzlaufbohle unter ihrem Fuß weg und Burandt konnte sich gerade noch am Fenster festhalten. „Sonst wäre ich ganz schön abgeschmiert“, sagt sie nüchtern.
Oft nicht ernstgenommen
Der Weg in den Beruf war wenig spektakulär. Etwas Handwerkliches wollte sie lernen und arbeitete einen Tag Probe beim Schornsteinfeger. Das gefiel ihr. In Berlin machte sie eine Lehre, arbeitet heute bei dem Schornsteinfeger Sven Hoffmann in Potsdam-Waldstadt. 2011 setzte sie ihren Meister drauf. Seitdem darf sie auch den schwarzen Zylinder tragen. „Kunden denken am Telefon trotzdem zunächst, ich bin entweder die Frau vom Chef, eine Praktikantin oder das Mädel im Büro“, sagt sie. Und beäugen sie verunsichert, wenn sie zum Arbeiten kommt. Es kommt auch vor, dass sie von Gastronomen nicht ernst genommen wird, wenn sie an der Lüftungsanlage etwas zu bemängeln hat. Das ärgert sie: „Dann kann ich auch mal etwas garstig werden.“
Mittlerweile kennen die meisten Kunden die junge Schornsteinfegerin, seit 2008 betreut Burandt die selben Potsdamer Stadtbezirke. Jetzt um Weihnachten und Silvester muss sie mehr Zeit einplanen, hier und da noch auf Kaffee und Plätzchen bleiben und bekommt sogenanntes Neujahrsgeld zugesteckt.
"Frauen arbeiten sauberer"
Frauen in dem Beruf gibt es noch nicht lange. Das liegt nicht daran, dass sie weniger geeignet sind, sagt Burandt. Im Gegenteil. „Es heißt, die Frauen in unserem Beruf arbeiten sauberer.“ Außerdem ist sie mit einer Körpergröße von 1,65 Meter auf niedrigen Dachböden und in engen Kellern klar im Vorteil gegenüber hünenhaften, breitschultrigen Kollegen. Aber wie in anderen typischen Männerberufen braucht die Umstellung Zeit. Plötzlich braucht man zwei Umkleiden, Toiletten und Duschen. Auch die Arbeitsuniform, ein Anzug aus derbem Stoff und weichem Leder mit goldglänzenden Knöpfen und Koppelschloss am Gürtel, gibt es bislang nur in Männergrößen. Die kleinste passt ihr ganz gut.
Doch auch in den Köpfen der Frauen selbst ist der Beruf bisher wenig präsent. Dabei sei er abwechslungsreich, aufregend, man ist viel an der frischen Luft und lernt die verschiedensten Häuser vom Keller bis zum Dachboden kennen. In der Mittelstraße im Holländischen Viertel gibt es ein paar Häuser, da führt der einzige Weg zu den Schornsteinen über die Dächer, über mehrere Häuser hinweg. Gern geht sie auch in die Räucherkammer eines Fleischers, kratzt den Ruß von den Wänden, schlämmt anschließend alles neu mit Lehm aus. Pläne für die eigene berufliche Zukunft hat sie vorerst keine. Sich selbstständig zu machen, davor schreckt sie ein wenig zurück. Sie verdiene auch so gutes Geld, sagt sie. „Ich bin zufrieden.“
Im Sommer heiratete sie, ganz in Weiß. Und eine ganze Garde Kollegen in traditionellem Schwarz war dabei. Dass die Braut und nicht der Bräutigam der Schornsteinfeger war, habe viele Gäste überrascht. Ihr Mann hat einen vergleichweise sauberen Job. „Er ist Techniker für Waschmaschinen, sogenannte Weiße Ware.“
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