Homepage: Die Gegenwartslust an der Geschichtslast
Zur Tagung „Schattenorte“ wird in dieser Woche über Geschichtsbild und Erinnerungskultur diskutiert
Stand:
Auch in Potsdam gibt es das, was Zeithistoriker heute als dunklen Ort bezeichnen, etwa das ehemalige Gefängnis des russischen Geheimdienstes NKWD in der Leistikowstraße oder den Komplex in der Lindenstraße, der sowohl das NS-Erbgesundheitsgericht wie auch das Stasi-Gefängnis beherbergte. Auschwitz, Katyn, Hiroshima oder auch Hoyerswerda, es geht um Orte, die historische Bürden tragen und in einigen Fällen zu ikonografischen Verdichtungen einer grausamen Geschichte geworden sind. Die Frage ist nun, wie man mit der Geschichte des Ortes umgeht. Werden die historischen Untiefen ausgeblendet oder umgedeutet, findet eine kritische Auseinandersetzung oder eine aktive Nutzung im Sinne eines „dark tourism“ statt?
Die Stadt Potsdam hat zusammen mit Wissenschaftlern des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) eine Tagung zur Bedeutung dieser Schattenorte initiierte, die in dieser Woche im Potsdam Museum stattfindet. Die Idee zur Tagung entstand im Rahmen der Entwicklung des Erinnerungskonzeptes der Stadt Potsdam. Das ZZF berät die Stadt in Fragen der Erinnerungskultur. Nun geht es darum, 26 Jahre nach der Friedlichen Revolution zu schauen, welche Biografie die Stadt Potsdam hat. Ziel ist es aus Sicht der Stadt, sich mit anderen Städten auszutauschen, über den Tellerrand zu schauen und auch Impulse für die eigene Herangehensweise zu bekommen. Das könne gerade auch bei Fragen zur Entwicklung der Innenstadt, etwa dem Abriss des Mercure-Hotels und der Fachhochschule oder dem Wiederaufbau der Garnisonkirche, sinnvoll sein, so ein Stadtsprecher.
In der Wahrnehmung der sogenannten Schattenorte machen Historiker derzeit einen Wandel aus: weg von der Vergangenheitslast zu einer neuen Gegenwartslust an der Geschichtslast. Diese Zäsur ist heute allenthalben erkennbar. Während man etwa in der Nachkriegszeit – in Ost wie West – versuchte, historische Bürden aus dem Nationalsozialismus zu vergessen oder umzudeuten, ist heute ein ganzer Tourismuszweig um die sogenannten „dark places“ erwachsen. „Die Sehnsucht nach dem Authentischen bedient ein weit über die Geschichtskultur hinausweisendes Bedürfnis der Gegenwart, die dem Originalen eine besondere Aura, eine besondere Strahlkraft, ein besonderes Fluidum beilegt“, so ZZF-Direktor Martin Sabrow. Im Schattenort finde sich die kathartische Lernbereitschaft mit der Aura des Authentischen zusammen. „Und macht die Lust der Last erlebbar, die sich gleichermaßen als reinigender wie prickelnder Schauer erleben lässt – im seelisch tief erschütternden Rundgang durch die Zellen des Potsdamer KGB-Gefängnisses wie im Auschwitz-Selfie und im Wintersonnenbad am Berliner Holocaust-Mahnmal“, so Sabrow.
Sabrow geht es auch um die historischen Verwerfungen in Potsdam selbst, der Stadt, die in der DDR-Zeit als Hort der preußischen Reaktion zum Inbegriff eines Schattenortes avancierte, in dem historische Bauten als steinerne Zeugen des vermeintlichen „Geistes von Potsdam“ geschliffen wurden, wie auch heute wiederum Bauten der SED-Zeit verschwinden. „Nicht das bloße Vergessen durch bauliches Vernichten, sondern die Entmachtung der städtischen Geschichtserzählung durch Abriss, Nachnutzung und zitative Bewahrung ihrer prägenden Bauten macht das sozialistische Schicksal des Schattenortes Potsdam aus“, so Sabrow. Worüber sich sicher trefflich diskutieren lässt. Jan Kixmüller
Schattenorte. Stadtimage und Vergangenheitslast, 12. und 13. Februar, Potsdam Museum, Am Alten Markt 9. Diskussion Donnerstag, 19.30 Uhr. Die Teilnahme ist kostenlos, um Anmeldung wird gebeten bei Stefanie Eisenhuth (eisenhuth@zzf-pdm.de).
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: