POSITION: Die Gegner sind nicht geschichtsvergessen
Eine Replik auf den Beitrag von Philipp Lengsfeld zur Garnisonkirche Von Peer Jürgens
Stand:
Was treibt einen Berliner Bundestagsabgeordneten, der meines Wissens nach noch nie mit den Gegnern und Gegnerinnen des Wiederaufbaus der Garnisonkirche gesprochen hat, sich derart abfällig über dieses bürgerschaftliche Engagement zu echauffieren?
Man kann zum Wiederaufbau unterschiedlicher Meinung sein. Aber wenn man schon die Meinung vertritt, die Kirche solle wieder zum Stadtbild Potsdam gehören, sollte man seine Argumente wohl überlegen und die Gegner des Wiederaufbaus nicht mit Behauptungen diskreditieren. Das gilt auch für Berliner Bundestagsabgeordnete.
Das Bündnis gegen den Wiederaufbau ist ein breites Netzwerk von Menschen unterschiedlichen Alters, Herkunft und Orientierung. Es sind eben nicht nur „junge Potsdamer Studenten“, wie von Herrn Lengsfeld behauptet. Und gerade weil die Gegner eben nicht geschichtsvergessen sind, weil sie eben keine Bildungslücken die jüngste deutsche Geschichte betreffend haben, engagieren sie sich gegen den Wiederaufbau. Außerdem kann ich Herrn Lengsfeld versichern: Als Mitglied in der Enquetekommission des Landtages, die sich mit dem Erbe der DDR in Brandenburg befasst hat, weiß ich sehr wohl, wie intensiv in den Schulen die jüngste deutsche Geschichte thematisiert wird – sowohl die vor als auch die nach 1945. Ein zivilgesellschaftliches Engagement zu diskreditieren, indem man die „Ihr-habt-keine-Ahnung“-Keule schwingt – das ist unredlich!
Ich kann nicht für ganz Ostdeutschland sprechen – aber für Brandenburg kann ich den Vorwurf, irgendwie links verortete Menschen (die nach Auffassung von Herrn Lengsfeld in der Tradition der SED stehen) würden religiöse Aktivitäten bekämpfen, als absurd entkräften. Dieses Brandenburg hat – und das ist sicherlich nicht unumstritten – enorm viel für den Erhalt und den Wiederaufbau kirchlichen Eigentums getan. Allein in den Denkmalschutz alter Dorfkirchen sind in den vergangenen 20 Jahren über 30 Mio. Euro geflossen. Das Land hat mit hohem finanziellen Engagement kirchliche Kleinode wie das Stift Neuzelle oder die Klöster in Chorin und Lehnin wiederhergestellt. Unzählige Kirchen – auch in Potsdam – konnten mit Unterstützung des Landes und der Kommunen ganz- oder teilsaniert werden.
Aufgrund bundes-, ja europaweiter Tendenzen hat die Zahl der Kirchenmitglieder drastisch abgenommen. Allein in den vergangenen zwei Jahren hat die Evangelische Kirche über 20 000 Mitglieder in Brandenburg verloren (jetzt 390 000), die Katholische Kirche hat über 15 000 Mitglieder weniger (jetzt 62 000). Und trotz dieser Entwicklung hat das Land Brandenburg – auch das sicher umstritten – die Zuweisungen an die Kirchen nicht nur konstant gehalten, sondern teilweise sogar erhöht. Die Evangelische Kirche erhielt 2009 noch 10,2 Millionen Euro, 2014 sind es 10,8 Millionen Euro, die jüdischen Gemeinden erhielten 2009 noch 200 000 Euro, in diesem Jahr sind es 500 000 Euro. Niemand, der klaren Verstandes ist und die Fakten kennt, kann daher Behauptungen aufstellen wie Herr Lengsfeld.
Man kann für den Wiederaufbau der Garnisonkirche sein – diese Meinung steht allen offen. Ich halte die Symbolik des „Tages von Potsdam“ auch heute noch für so immens, dass kein wie auch immer gearteter Informationsteil in einer wiederaufgebauten Kirche dem gerecht werden könnte. Daher bin ich gegen den Wiederaufbau. Ich bin froh, dass in Potsdam viele dieser Meinung sind und dies auch zum Ausdruck bringen. Dieses Engagement derart in den Dreck zu ziehen gehört sich nicht – schon gar nicht für einen Berliner Bundestagsabgeordneten.
Peer Jürgens (Die Linke) ist seit 2004 Landtagsabgeordneter. Der Text von Philipp Lengsfeld erschien am 29. Juli.
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