
© Kabir Bakie
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Eine neue Sicht auf die Evolution der Sexualität
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Monogam zu leben sei ähnlich, wie sich dafür zu entscheiden, Vegetarier zu sein. Das findet zumindest der Psychologe Christopher Ryan. Man könne zwar beides praktizieren, aber es sei nicht einfach durchzuhalten und wohl auch von der Natur nicht so vorgegeben. Ryan hat sich viele Gedanken über Sex gemacht, über den der Menschen und den der Tiere.
Als „Bonobo-Porno“ bezeichnet Ryan einen Dokumentarfilm, den er bei seinem Vortrag im Potsdamer Einstein Forum einspielte. Überhaupt, die Bonobos. Eine muntere Affenrasse, beheimatet im Kongo. Ein Menschenaffe, der zwar mit dem Schimpansen verwandt ist, aber laut Ryan dem Menschen näher steht. Die warmen Äquatorialgefilde, in denen der Affe lebt, versorgen ihn hinreichend mit Nahrung. Da bleibt viel Freizeit. Also widme der Bonobo sich nahezu ununterbrochen seiner Lieblingsbeschäftigung: dem Sex. Das hat nicht nur Ryan beobachtet, es ist wissenschaftlich gut belegt. Der polygame Beischlaf führe zu einer recht entspannten und vertrauten Stimmung innerhalb der Affengruppe, es sei wie eine Gewohnheit, wie ein nettes Händeschütteln. Hierarchien würden in der matriarchal dominierten Gesellschaft zwar bestehen. Aber das Sozialleben sei über die Maßen friedlich, Männchen würden schnell in ihre Schranken gewiesen. Gerade im Vergleich zu Gorillas mit ihren dominanten „Silberrücken“, die einen exklusiven Harem um sich scharen, seien die Bonobos doch erheblich entspannter, so Ryan.
Sex als Mittel, Freude, Nähe und Vertrautheit zu schaffen, sei Säugetieren mit höher entwickelten intellektuellen Fähigkeiten vorbehalten: Affen, Menschen und Delphinen. Wobei die Menschen im Vergleich zu Affen immerhin über den längeren Penis verfügten. Offensichtlich sympathisiert Ryan zwar mit dem Modell der Affengesellschaft. Ob er dies jedoch als beispielhaft auch für die menschliche Gesellschaft ansieht, lässt er offen. Schließlich müsse doch die kulturelle Prägung des Menschen berücksichtigt werden.
Die sei allerdings nicht besonders tief in die Psyche des heutigen Kulturwesens eingegraben. Menschen gebe es seit etwa 2,5 Millionen Jahre, erst seit rund 20 000 Jahren jedoch seien sie sesshaft. Damit sei das Eigentum und auch die Monogamie aufgekommen. Vorher sei Polygamie an der Tagesordnung gewesen, alles sei geteilt worden. Das sei auch praktischer gewesen. Etwa 150 Personen seien zuvor zusammen durch die Steppe gezogen. „Und die mussten so weniger Kochgeschirr mitschleppen“, mutmaßt Ryan.
Wenn der Sexualakt nicht als exklusives Partnerrecht gehandhabt werde, vergleichbar dem Eigentum an Ochs und Esel, wie es auch in der Bibel formuliert sei, entfalle die Eifersucht. Das Gruppenleben sei erheblich entspannter. Sex stärke das Vertrauen und Zutrauen innerhalb der Gemeinschaft. Dem Nachwuchs komme nicht die Funktion des Erben für das angehäufte Eigentum zu. Da die Jäger und Sammler ihr Leben lang in einer Gruppe beieinander gewesen wären, sei die soziale Kontrolle ohnehin recht groß. Das habe emotionale Ausfälle unwahrscheinlich gemacht.
Zahlreiche Thesen Ryans stehen nicht gerade auf festem Boden. Ob wirklich schon über den von ihm genannten Zeitraum hinweg von Menschen gesprochen werden kann, ist ebenso unsicher wie seine Vermutung zu frühgeschichtlichen Sexualgewohnheiten. „Wir können nur anhand von Knochenresten und Haushaltsscherben rekonstruieren, wie es in der Vorzeit ausgesehen hat“, gibt die promovierte Psychologin Fanny Jimenez in der Diskussion mit Ryan zu bedenken.
Auch nicht alle Evolutionswissenschaftler teilen Ryans Vorliebe für Bonobos und seine Sicht auf die vermeintlich friedliche Frühgeschichte. Der Psychologe Steven Pinker gelangt in seiner groß angelegten Geschichte von Menschheit und Krieg zu ganz anderen Schlüssen. Erst die Monogamie habe die Evolutionsvorteile von Raub, Vergewaltigung und Plünderung beseitigt, meint Pinker. Denn erst mit dem Aufkommen von nationalen Territorien, Monogamie und staatlichem Gewaltmonopol seien Plünderer daran gehindert worden, sich fremde Frauen anzueignen und so Erbinformationen möglichst breit zu streuen. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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