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Landeshauptstadt: Die Grundfrage der Frauen

Sex und Revolution: Michael Gwisdek über seinen Defa-Film „Treffen in Travers“

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Er hätte auch ein Telefonbuch verfilmt. Michael Gwisdek wollte 1988 unbedingt einen Film drehen. Also hat er dem Babelsberger Defa-Chef erklärt, entweder er könne jetzt Regie führen „oder ich mache es in einem anderen Land“. Die glatte Androhung einer Republiksflucht. Auf Hans Dieter Mäde erzielte das Wirkung. Da die DDR zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution einen Film über den Revolutionär und Literaten Georg Forster plante, kam Gwisdeks Regiewut da so ungelegen nicht – und ihm war es ja sowieso egal, was im Drehbuch steht.

Michael Gwisdek, grauer als damals, aber immer noch der Berliner Junge, der sagt, was Sache ist, lehnt im Requisitenfundus des Filmparks Babelsberg an einem Bücherregal. Er blättert im Scheinwerferlicht in der Forster-Gesamtausgabe. Für den Bonus-Track zur DVD seines Georg-Forster-Filmes „Treffen in Travers“ soll er für die Kamera des Icestorm-Produzenten Uwe Fleischer eine Selbstbeschreibung Forsters vorlesen.

„Ick weiß gar nicht, wer Georg Forster ist“, sagt er trocken. Das sind so Einstiege, die Fleischer die Nerven rauben könnten, denn er macht einen Film zu dem Film über Georg Forster – und sein Hauptdarsteller bockt. „Ick habe ja damals einen ganz anderen Film gemacht“, setzt Gwisdek noch einen drauf. Aber Fleischer ist ein alter Hase. Das ist ja alles 20 Jahre her, das muss erst wieder hoch kommen. Auch weiß er, wen er vor sich hat, Michael Gwisdek, der besoffene Schwalbe-Fahrer aus „Good by Lenin“, der „Herr Lehmann“, der „Tangospieler“, der wird noch warm, einfach mal reden lassen.

Gwisdek: „Wann hab“ ick den gedreht?“ Antwort: „1988“ Gwisdek: „Aha, gab“s da schon Farbfilme?“ „ORWO bunt“, ruft Fleischer und bittet zur neuen Einstellung. Gwisdek hatte eine Zigarette vor der Requisitentür; er spürt echtes Interesse, also wie war das gleich?

Die DDR hatte Georg Forster entdeckt, ein Erbe. Der verlässt Frau und Kinder und geht nach Paris Revolution machen. Sein Freund, der zu Hause aufpassen soll, wird der Geliebte seiner Frau, die Scheidung steht an. Das muss besprochen werden, in der Schweiz, in Travers. Forster, seine Frau und ihr Liebhaber verbringen drei Tage zusammen, über die keine Aufzeichnung existiert. „Drei Tage schwarz“, sagt Gwisdek. Danach ist klar, die Scheidung fällt aus. Das interessiert Gwisdek, die Situation eine Frau zwischen zwei Männern, die „Casablanca-Konstellation“. „Ich hatte freien Spielraum, zu spekulieren, was passiert ist“.

Zwischen den Aufnahmen schlendert Gwisdek in den Requisiten-Gängen auf und ab. 20 Jahre hatte die DDR keinen Film in Cannes – und dann hätte er fast die Goldene Palme geholt. Gewonnen hat 1989 dann Steven Soderbergs „Sex, Lügen und Video“. Gwisdek: „Der hat mir glatt das Ding weggeschnappt.“ Er setzt mit einem tiefen Atemzug hinzu – und hat dabei sicher nicht nur Filme im Sinn: „Mann, bin ick oft Zweiter geworden.“

Auf der Treppe hat Fleischer ihn soweit. Gwisdek artikuliert Hände fuchtelnd, reißt dabei eine Stehlampe um, baut das geschickt in seinen Redeschwall ein, schließlich, sagt er, war das eine Umbruchszeit damals, kurz vor der Wende. Gwisdek stand unter dem Eindruck von Bertoluccis „Der letzte Tango von Paris.“ So einen Film wollte er machen. „Für jede Szene, die ick gedreht habe, kann ick ihnen sagen, wo ich die gesehen habe.“ Was ihn bewegt ist „die Grundfrage der Frauen“. Sollen sie einen Ordentlichen, einen Gewaschenen nehmen, der auf die Kinder aufpasst und ihr ein Heim schafft? Oder soll sie den anderen nehmen, den sexuell Attraktiveren, den Revolutionär, der aber wieder das Weite sucht? „Seeräuber oder Bankangestellter – dieser sexuelle Konflikt hat mich interessiert“, sagt Gwisdek. Er hat seine Bilder im Kopf und will sie drehen – freilich an allen Drehplänen vorbei. Im Waschraum lässt Gwisdek es zu einer Sexszene kommen, zwischen Georg (Hermann Beyer) und Therese Forster (Corinna Harfouch), es muss eine einzige Einstellung sein, ohne Schnitt: „Angucken, Vorspiel, Orgasmus, abschlaffen, ausruhen.“ Und das zu einer Zeit, wo bei der Defa „Beischlafszenen noch ins Kornfeld abgeschoben wurden“.

Aber ein Held, der Sex hat „und dann wieder abrauscht“, das ging damals noch nicht, das war kein positiver Held. Corinna Harfouch, damals verheiratet mit Michael Gwisdek, hatte die rettende Idee: Ich mach den Forster so an, „bis die Lokomotive läuft, dann gibt“s kein Halten mehr“. Anders gesagt, Forster „hatte keine Chance“.

Aber ein der Führung genehmer Film wurde es dadurch dennoch nicht. Viele am Set hatten Angst. Gwisdek: „Sie dachten, entweder wird der Film eine Sensation oder sie werden gefeuert.“ Was Gwisdek verdeckt mit einbaute, war die Frage nach der Freiheit der Andersdenkenden. Die Französische Revolution ließ köpfen, die DDR bürgerte aus. Wie damals den Liedermacher Stephan Krawczyk oder den Schauspieler Manfred Krug. Die Leute verstanden die Parallelen, sagt Gwisdek.

Nach wenigen Tagen nahm die DDR „Treffen in Travers“ aus dem Kino-Programm, zugunsten von „Dirty Dancing“, dem Soundtrack des revolutionären Wendeherbstes 1989. Ein Jahr darauf wird Gwisdeks Erstling für den Europäischen Filmpreis nominiert. Er bekennt: „Es war das Ereignis meines Lebens.“

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