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Homepage: „Die Krise als Chance“

Sozialgeograph Prof. Hans-Joachim Bürkner über Wegzug und Leerstand in Brandenburg, Call-Center und veraltete Leitbilder

Sozialgeograph Prof. Hans-Joachim Bürkner über Wegzug und Leerstand in Brandenburg, Call-Center und veraltete Leitbilder Die Bevölkerungszahl in Brandenburg nimmt rapide ab. Bekommen wir in absehbarer Zukunft schwedische Verhältnisse? Nach dem was wir beobachten konnten, ist die These zwar etwas pointiert, aber nicht unrealistisch. Die Abwanderung hält an, gerade aus den Städten im grenznahen Gebiet zu Polen, die es nicht geschafft haben, nach der Wende einen Ausgleich für die Arbeitsplatzverluste durch Deindustrialisierung zu schaffen. Eisenhüttenstadt zum Beispiel ist trotz Eko-Stahl in der Krise, eine Konsolidierung ist nicht in Sicht. Es sind in den betroffenen Regionen nicht ausreichend Arbeitsplätze entstanden, um eine erwerbsfähige Bevölkerung über einen längeren Zeitraum zu halten. Wird nicht gerade die Grenzregion von der EU-Osterweiterung profitieren? Die Frage ist, welche Art von Märkten sich dort ergeben können. Auf der Ebene der lokalen Kleinunternehmen gibt es durchaus Aktivitäten mit bescheidener regionaler Wirkung. Welche Langzeiteffekte entstehen werden, ist aber völlig unklar. Das Beispiel der Grenzbasare auf der polnischen Seite hat gezeigt, dass oft sehr kurzfristige Nachfragen Ausschlag gebend sind, die Struktureffekte tendieren dabei gegen Null. Man bräuchte die Ansiedlung von klein- und mittelständischen Unternehmen in der Region, die Zulieferbeziehungen oder andere stabile grenzübergreifende Verbindungen entwickeln, um eine längerfristige Perspektive zu ermöglichen. Das erfordert aber eine Unterstützung durch die Politik. Die Chancen für Unternehmen, sich zu etablieren, schwinden allerdings auf der deutschen Seite mit dem Bevölkerungsrückgang, der dadurch verringerten Kaufkraft und dem Fachkräftemangel. Kann ein solcher struktureller Wandel den enormen Arbeitsplatzverlust überhaupt aufhalten? Eine gewisse Dämpfung wäre durch die Ansiedlung von global operierenden Unternehmen möglich. Es gibt Beispiele aus dem Norden Englands, wo altindustrialisierte Regionen es geschafft haben, neue Dienstleistungen anzusiedeln, etwa Call-Center in alten Industriearealen. Es wird dort als Erfolg gesehen, wenn auch die langfristigen Beschäftigungsperspektiven sehr unsicher sind. Hochwertige Vollzeitarbeitsplätze in einer Region mit ungünstigen strukturellen Voraussetzungen und schlechtem Image entstehen zu lassen ist sehr schwierig. Insofern ist bei uns die Prognose der weiteren Entvölkerung in den peripheren Landesteilen gerechtfertigt. Wie soll man mit dem Verlust von Arbeit und Menschen umgehen? Man sollte „skandinavische Verhältnisse“ nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance sehen. Wir müssen uns beispielsweise anschauen, wie in Skandinavien die Infrastruktur entwickelt wurde, um eine weit verstreute Bevölkerung zu erreichen. Was wird von der Politik gefordert? Der Prozess kann gesteuert werden. Zunächst muss man die politischen Möglichkeiten auf lokaler und regionaler Ebene ausschöpfen. Bislang hat die Politik aus einem Ressort-Denken heraus gehandelt, Städtebau und Infrastrukturversorgung sowie Wirtschaftsförderung parallel umgesetzt. Was wir jetzt brauchen, ist eine Vernetzung unter den Ressorts. Große Arbeitsstäbe? Man sollte mehr in Richtung lokaler Arbeitsgruppen denken, die aber schon die Funktion von Krisenstäben hätten. Daran müssten unterschiedlichste Akteure aus der Gesellschaft beteiligt werden. Es geht darum, die Weichen für eine städtische Zukunft zu stellen, zu der man sich erst einmal hintasten muss. Es müssen neue Leitbilder entwickelt werden. Wie könnten neue Leitbilder aussehen? Man müsste von überkommenen Wachstumserwartungen abrücken. In den Kommunen im grenznahen Raum gibt es immer noch eine starke Fixierung auf ein Wachstum, das nie realisiert wurde. Selbst im Westen sind Wachstumserwartungen in vielen Regionen nicht mehr realistisch. Die Politik steht vor dem Dilemma, ständig etwas zu versprechen, was dann regelmäßig durch Globalisierungseffekte und neue Unternehmensstrategien vereitelt wird. Woran kranken herkömmliche Leitbilder? Problem in der Stadtentwicklungspolitik ist, dass man sich von den alten, auf Außenentwicklung angelegten Leitbildern häufig nicht verabschiedet hat, zum Beispiel von der Förderung von Gewerbeflächen und Wohnungsbau am Stadtrand. Das Konzept der Aufwertung des suburbanen Raumes, der grünen Wiese, ist noch nicht vom Tisch. Durch die Standortentwicklung der letzten 15 Jahre ist dort allerdings einiges entstanden, das man so schnell nicht mehr abbauen kann. Daraus kann im Rahmen von Schrumpfungsprozessen eine strukturelle Hypothek für die künftige Stadtentwicklung entstehen. Und bei den Ansiedlungen? Insgeheim wird immer noch auf großindustrielle Strukturen geschielt. Die Hoffnungen etwa für die Chipfabrik Frankfurt (Oder) bezogen sich zuerst allein auf die Zahl der Arbeitsplätze. Um Investoren aber besser in verbindliche Verhandlungen zu locken, hätten Stadt und Region die Bereitschaft zeigen müssen, die Ansiedlung als Entwicklungschance nutzen zu wollen. Es hätten Umfelder geschaffen werden müssen, die für Unternehmen langfristig interessant sind – bis in den kulturellen Bereich hinein. All dies ist nicht geschehen, weil man dachte, es läuft von selbst. Was müssen die Kommunen machen? Notwendig ist eine intensive Bestandspflege. Die Kommunen müssen sich bewusst werden, was sie an ihren Unternehmen haben, was sie ihnen Wert sind. Das kann von rein ideeller Förderung bis hin zu konkreten Hilfestellungen für den Erhalt von Subventionen gehen. Solche Initiativen gibt es zwar vereinzelt, aber das reicht nicht aus. Die Grundgedanken solcher Initiativen müssten Bestandteil neuer Entwicklungskonzepte der Städte und Kommunen werden. Auch muss Stadtentwicklung als ganzheitliche Aufgabe gesehen werden. Besonders für den äußeren Verflechtungsraum muss eine Politik her, die mit Schrumpfung angemessen umgeht, eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Ressourcen vornimmt, sich fragt, wo die verbliebenen Stärken sind oder wo neue entwickelt werden können. Vor diesem Kassensturz schrecken viele Kommunen zurück. Man braucht aber eine gewisse Katharsis, um aus der Krise herauszukommen. Es bedarf auch ein wenig Kreativität und Neugierde, um die Krise als Chance für eine erfolgreiche Restrukturierung nutzen zu können. Wie sollte man mit dem Wohnungsleerstand in der Peripherie umgehen? Man wird nicht vermarktbare Wohnungen und Gebäude weiter abreißen müssen. Allerdings wird derzeit zu wenig überlegt, in welcher Form eine Stadt schrumpfen soll. Oft werden Plattenbaugebiete ausgedünnt. Das müsste stärker durchdacht werden. Wie viel zerfaserte Stadtperipherie kann man sich leisten, ist es auch verkehrstechnisch noch zu leisten, lauten die Fragen. Ist es nicht besser, erst Wohnquartiere in der Innenstadt in der Aufwertung zu bevorzugen, um sie attraktiver zu machen und dadurch kompakte Strukturen zu erhalten? Da kommen neue Planungsaufgaben auf die Städte zu, es muss gezielter geplant werden. Könnte der Bevölkerungsrückgang nicht durch Einwanderung gedämpft werden? Die Frage ist, inwieweit eine entsprechende Migrationspolitik auf der Basis des geltenden Einwanderungsgesetzes auf ostdeutsche Verhältnisse mit ihren problematischen Integrationsbedingungen für Fremde zugeschnitten werden kann. Die Politik stellt sich zudem vor, dass man nur die Guten, Qualifizierten holt. Das ist nicht so leicht steuerbar. Menschen wandern nie alleine, sondern in sozialen Zusammenhängen, mit ihren Familien oder in anderen Gruppen. Man bekommt immer auch ein gewisses Spektrum an sozialen Schichten, unterschiedlichen Lebensstilen, Bedürfnissen. Übersehen wird auch häufig, dass Migrationsprozesse in erster Linie ökonomische Prozesse sind; die Menschen gehen dort hin, wo die Arbeitsplätze sind. Da habe ich bei unserer Region – vielleicht abgesehen vom engeren Verflechtungsraum mit Berlin – einige Bedenken. Die Regionalbahn hat sich als Lebensader erwiesen. Brauchen wir Schnellbahnen und -straßen, um die Peripherie zu beleben? Es gibt an solchen Strecken immer Doppeleffekte. Einerseits wird das Pendeln in die Zentren für die Arbeitskräfte erleichtert. Andererseits trägt die Regionalbahn aber auch dazu bei, dass mögliche Entwicklungseffekte, etwa in der Grenzregion, abgeschwächt werden oder ganz ausbleiben. Man lebt dort gar nicht mehr wirklich, Schlafstädte entstehen, Arbeit und Konsum finden dann beispielsweise in Berlin statt. Infrastrukturaufbau alleine reicht eben nicht aus. Also nicht die Menschen dort hinbringen, wo die Arbeit ist? So etwas steht und fällt immer mit dem Wachstum. Wenn es in Berlin und dem Speckgürtel aufwärts geht, ist eine Stärkung der Verkehrsachsen aus Berliner Sicht sinnvoll. Mit Blick auf Abwanderung und Bevölkerungsrückgang in der Peripherie kann eine Investition in Verkehrsadern aber verschenktes Geld sein, wenn in zehn Jahren die Nachfrage nach solchen Infrastrukturen fehlt. Von der ausschließlichen, flächendeckenden Wachstumsvorstellung muss man nun zugunsten einer differenzierteren Entwicklungsförderung abrücken. Wie kann die aussehen? Sie könnte ausgehen von der Frage, wie sich die Region künftig innerhalb einer globalisierten Weltwirtschaft erfolgreich positionieren kann. Die Potenziale für den Ausbau einer wissensbasierten Dienstleistungslandschaft sind beispielsweise bereits jetzt beachtlich. Hier ginge es darum, bestehenden Entwicklungsansätzen noch mehr politische Aufmerksamkeit zu schenken. Auf der Ebene der Städte und Kommunen wäre die Förderung einer stärkeren wirtschaftlichen Spezialisierung bzw. Profilierung ein erster Schritt. Ich komme darauf noch einmal zurück. In der Wissenschaft hat sich einiges getan. Der Ausbau des Wissenschaftsstandortes Brandenburg mit Blick auf kleinere Konzentrationen etwa in Golm, Cottbus, Frankfurt ist ein Ansatz, der zumindest langfristig positive Wirkung haben kann. Zumindest die Entstehung kleinerer Unternehmensnetzwerke im Umfeld von Wissenschaftsparks ist eine realistische Perspektive. Ein richtiger Weg, der allerdings einen langen politischen Atem und finanzielle Mittel braucht. Man muss sich dafür entscheiden, Mittel in diesen Bereich hinein umzuverteilen. Aus welchen Bereichen kann umverteilt werden? Alles was mit vermeintlich imageträchtigen Großprojekten zu tun hat, sollte zurückgefahren werden. Man muss auch von der Vorstellung abrücken, mit der Gießkanne Entwicklungsimpulse setzen zu können. Es müssen bestehende Wachstumsansätze gefördert werden – zum Beispiel rund um bereits bestehende Unternehmenscluster wie in der Mikroelektronikbranche in Frankfurt (Oder). Man muss sich aber auch darauf einstellen, dass diese Ansätze nicht immer die erhofften weit reichenden regionalen Ausstrahlungseffekte haben werden. Welche Alternativen zur weggebrochenen Industriearbeit sehen Sie? Denkbar ist etwa, dass sich einige Kommunen darauf spezialisieren, Alterswohnsitze und Dienstleistungen für Senioren anzubieten, andere auf wissensbasierte Branchen setzen, bestimmte Tourismusvarianten fördern und wieder andere versuchen, neue Produkte im landwirtschaftlichen Bereich oder in traditionellen Industrien mit Hilfe innovativer Verfahren zu entwickeln. Generell sind Standorte mit geringem Lohnniveau und ausgebauter Infrastruktur auch weiterhin durchaus für Unternehmen in einigen Branchen attraktiv. Man sollte sich genau anschauen, wie lokale Initiativen in Richtung einer stärkeren lokalen Spezialisierung in anderen europäischen Regionen entwickelt wurden. Zum Beispiel? In der englischen Kleinstadt Barnsley bei Sheffield, die jahrzehntelang vom Niedergang des Kohlebergbaus geprägt war, hat man sich hingesetzt und ein neues Leitbild ersonnen. Die Idee: ein verändertes Stadtprofil nach Art einer toskanischen Kleinstadt zu entwickeln und dieses Profil quasi mitten in die alte Industrieregion hineinzupflanzen. So wurde ein neues touristisches Potenzial geschaffen, aber auch der Ausbildungssektor wurde weiterentwickelt. Nun gibt es dort eine Unzahl von Colleges, die jungen Menschen beleben die Stadt und es haben sich neue Dienstleistungen angesiedelt. Wieso soll man sich nicht auch bei uns erlauben, ein wenig zu experimentieren? Das Gespräch führten Jan Kixmüller und Peter Tiede. Hans-Joachim Bürkner (50), Prof. für Wirtschafts- und Sozialgeographie an der Uni Potsdam, leitet am Institut für Regionalplanung Erkner ein Projekt zur Regenerierung ostdeutscher Städte.

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