Landeshauptstadt: Die letzte Streife
Nach fast 20 Jahren verabschiedete sich Joachim Pfeifer, Potsdams bekanntester Revierpolizist, am Montag in den Ruhestand
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1500 Meter. So lang ist der Weg vom Brandenburger Tor zum Bassinplatz. An diesem Montagmorgen wird die Strecke länger dauern als sonst. Im Minutentakt wird Joachim Pfeifer angehalten. Er kennt fast jeden hier und viele sind heute extra gekommen. Nach beinahe 20 Jahren im Dienst ist es der letzte Arbeitstag für Potsdams berühmtesten Revierpolizisten. „Ich war immer sieben von acht Stunden draußen – ich vertrödel meine Zeit nicht am Schreibtisch“, sagt Pfeifer. Klar, dass er sich mit einem letzten Rundgang durch sein Revier verabschiedet.
20 Polizei-Kollegen warten am Treffpunkt am Brandenburger Tor auf Pfeifer, scharen sich für ein gemeinsames Erinnerungsfoto um den 60-Jährigen. Ein ungewohntes Gefühl für den rundlichen Mann mit dem Schnauzer: „Ich stehe seit einer Woche im Mittelpunkt“, sagt er. Ein bisschen Stolz schwingt in seiner Stimme mit – und viel Wehmut. Der Abschied, sagt seine Frau Marion, die im Hotel am Brandenburger Tor arbeitet und sich heute extra freigenommen hat, „fällt ihm sehr schwer“. Zu Hause, in Klein Schulzendorf, gebe es „ein bisschen was zu machen“. Oder er schaut im Fernsehen Krimis. Davon könne ihr Mann gar nicht genug bekommen, verrät sie. In drei Monaten geht auch Marion Pfeifer in den Ruhestand. Dann will das Ehepaar verreisen. Vielleicht wieder nach Kroatien, da fühlen sich die Pfeifers wohl.
An diesem Montag ist Marion Pfeifer gemeinsam mit Sohn Marko da – eines von fünf Kindern; die jüngste Tochter wird später noch als größte Überraschung aus Österreich zu Besuch kommen – fürs Tragen der Geschenke zuständig. Und die gibt es bei der letzten Streife zuhauf: Weinflaschen, Pralinenkästen, ein Polizei-Kuschelbär. Immer wieder wird Pfeifer angehalten, Politiker danken ihm, Passanten wünschen alles Gute, Gewerbetreibende frischen Erinnerungen auf.
Erol Ömer zum Beispiel, der Pfeifer liebevoll Onkel nennt. „Ich kenne ihn seit 1992 – da war ich zwölf Jahre alt“, sagt der Chef des Döner-Ladens Bistro XXL. Damals habe er seinen älteren Bruder in Potsdam besucht. Der hatte einen Döner-Imbiss am Platz der Einheit. Und Pfeifer jagte vietnamesische Zigarettenschmuggler. Mittlerweile hat Ömer einen eigenen Imbiss und den besten schwarzen Tee der Stadt, wenn es nach Pfeifer geht. Dass der Polizist fast jeden Tag vorbeikommt, sorge für Sicherheit, sagt Ömer. Lachen muss er aber, wenn er sich an den vermeintlichen Taschendieb erinnert, den Pfeifer einmal schnappte. „Ein Gast hatte seine Tasche auf einem Tisch abgestellt und hat sich dann an den falschen Tisch gesetzt.“ Der herbeigerufene Polizist machte den verdutzten Mann dingfest – doch die Sache klärte sich schnell auf.
„Er hat immer auf mich aufgepasst“, sagt auch Beatrix Gräfin von Hardenberg, die von ihrem Teeladen in der Gutenbergstraße zu Pfeifers letzter Streife gekommen ist, um ihm zu danken. die Gerbers vom Juweliergeschäft posieren für ein Abschiedsfoto, Wolfgang Cornelius, der Chef der Händlervereinigung AG Innenstadt, drückt Pfeifer im Auftrag der AG eine Flasche Wein in die Hand. Auch Albrecht Fiedler vom Eisenwarengeschäft Stahlberg wünscht alles Gute – sein Traditionsgeschäft gibt es schon seit zwei Jahren nicht mehr.
„So was hab ich oft gesehen – Geschäfte leer, Geschäfte voll“, sinniert der scheidende Revierpolizist. Nicht nur die Innenstadt hat sich in den Jahren seit seinem Amtsantritt verändert. Auch Pfeifers Aufgaben haben sich gewandelt. Anfangs waren es die Hütchenspieler und Plagiatsverkäufer, die er in den Griff bekommen musste. Aber auch Taschendiebe waren immer wieder ein Problem auf der bei Potsdamern und Touristen beliebten Flaniermeile. „Die letzten habe ich vor vier Jahren hochgenommen, eine polnische Gruppe“, erzählt Pfeifer: „Seitdem ist relative Ruhe.“
„Hallo, Herr Pfeifer!“ Ein Mann in abgetragenen Klamotten mit staubigem Rucksack grüßt den Polizisten. Als er hört, dass es seine letzte Streife ist, nickt er anerkennend: „Machen Se’t gut!“ „Das war einer meiner ganz alten Schlumiche“, sagt Pfeifer beim Weitergehen. Und fügt vergnügt hinzu: „Er wagt es aber nicht, mich zu duzen.“
Nicht immer ging es so unbeschwert bei der Streife durch die Innenstadt zu. Pfeifers schlimmster Arbeitstag war vor vier Jahren, als in der Hegelallee ein Kleinkind aus dem Fenster gestürzt war – und starb. „Alles, was mit Kindern zu tun hat, geht mir ganz schön an die Nieren – auch Misshandlungs- und Vernachlässigungsfälle“, sagt Pfeifer, der selbst auf der Insel Rügen groß geworden ist.
44 000 Kilometer ist Pfeifer Streife gelaufen in Potsdam, hat er ausgerechnet. Einmal um die Erde – und ein Stückchen weiter. „Joachim Pfeifer ist mit Abstand der bekannteste Mitarbeiter der Revierpolizei in Potsdam“, sagt Dietmar Mathaei, erster Polizeihauptkommissar und Pfeifers Chef: „Er wird ein Loch reißen.“ 23 Revierpolizisten gibt es in der Stadt – Pfeifers Stelle übernimmt die 37-Jährige Claudia Lang.
Die blaue Uniform darf der scheidende Revierpolizist ausnahmsweise behalten: „Es passt ja sonst keiner rein“, scherzt er. „Aber anziehen werde ich sie auch nicht mehr“, sagt er dann und schmunzelt: „Vielleicht in 30 Jahren wieder – zum Fasching!“
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