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Abwägungsfragen. Nach dem Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 stellte sich die Frage, wie die knappen finanziellen Mittel verwendet werden sollen: Wie viel Geld kann in den Sofortaufbau fließen, wie viel in teure Frühwarnsysteme? In solchen Situationen ist eine gute Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik wichtig.

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Naturkatastrophen und Klimawandel: Das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik wird immer wichtiger. Eine Tagung widmete sich dem Thema, die Uni Potsdam will zukünftig Spezialisten ausbilden

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Es sind Entscheidungen, die mehr verlangen als nur das bloße Abwägen von Faktenwissen, wie man es von einer „objektiven Wissenschaft“ vielleicht erwartet. Neben der rein naturwissenschaftlichen Komponente geht es um Moral, Ethik oder Politik. Manfred Strecker, Geowissenschaftler an der Universität Potsdam und Leibniz-Preisträger, erläutert das am Beispiel Haiti: Durch die Erdstöße im Januar 2010 waren mehrere hunderttausend Menschen getötet und geschätzte 1,85 Millionen Haitianer obdachlos geworden. Es stand die Frage, wie auf die Katastrophe reagiert werden und künftigen Erdbeben begegnet werden kann – mit den begrenzten Mitteln, die aus den Spendengeldern zur Verfügung standen.

„Es gibt viel technisches Equipment, mit dem Seismologen Erschütterungen messen und vorhersagen können und es gibt die ganz handgreifliche Not der Menschen vor Ort“, sagt Strecker. Aber vor dem Hintergrund der knappen finanziellen Mittel wird eine politische Entscheidung nötig: Einerseits könne man versuchen, die zerstörten Siedlungen in einer Weise wieder aufzubauen, dass sie kommenden Beben eher stand halten. Andererseits könnten die Mittel auch für eine möglichst ausgefeilte und sehr teure Frühwarntechnik verwendet werden.

Um solche Probleme geht es in der neuen Forschungsdisziplin „GeoGovernance“. So lautet der Name des gemeinsamen Arbeitsschwerpunkte von Erdwissenschaftlern sowie Politik- und Verwaltungswissenschaftlern an der Universität Potsdam (PNN berichteten) – im Wintersemester soll erstmals ein Masterstudiengang in diesem Fach angeboten werden. Die Uni bewirbt sich außerdem gemeinsam unter anderem mit dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), dem GeoForschungsZentrum (GFZ) und der Freien Universität Berlin (FU) um die Förderung des Forschungsbereiches als sogenanntes „Exzellenzcluster“. Hintergrund ist die Einsicht, dass neben der inhaltlichen Forschung in den Erd- und Umweltwissenschaften die Vermittlung des gewonnenen Fachwissens zunehmend wichtig wird und es in Zukunft auf einen „moderierten Dialog zwischen Forschern und Entscheidern“ ankommen wird.

Das Zusammenspiel von Wissenschaft und Öffentlichkeit war auch Thema einer Tagung, zu der das Potsdamer Forschungsnetzwerk „Pearls“ gemeinsam mit dem Forschungsverbund „Progress“ – kurz für „Potsdamer Forschungs- und Technologieverbund zu Naturgefahren, Klimawandel und Nachhaltigkeit“ – am vergangenen Freitag eingeladen hatte und an dem auch die brandenburgische Wissenschaftsministerin Sabine Kunst (parteilos) teilnahm.

„In Potsdam gelingt der Dialog zwischen der Wissenschaft mit der Öffentlichkeit gut“, stellt Kunst anerkennend fest. Das sei erfreulich, denn einzelne Wissenschaften seien häufig nicht mehr in der Lage, Lösungsansätze für Fragen zu finden, die sowohl naturwissenschaftliche wie gesellschaftliche Fragen betreffen. Hier sei ein Brückenschlag hin zur Politik notwendig. Das Wissenschaftsnetzwerk Pearls, dem außer der Universität Potsdam noch zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen und Institute angehören, sei hierfür ein gutes Beispiel, lobte Kunst, die als promovierte Umweltbiologin und Politikwissenschaftlerin selbst an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik gearbeitet hat.

Wie politisch Wissenschaft sein kann, zeigt sich auch in der Debatte über den Klimawandel. Der Politikwissenschaftler Stephan Albrecht von der Universität Hamburg erinnerte daran, wie der Dialog über die Auswirkungen menschlicher Emissionen auf den Klimawandel und die Einschätzung über den Wandel im Jahre 2007 in Misskredit geraten war. Damals wurden in einem Bericht des internationalen Weltklimarates (IPCC) über den Rückgang von Gletschern im Himalaya massive Schwächen des Datenmaterials festgestellt, das die Grundlage für den Forschungsbericht gebildet hatte. Zwar hätten nachfolgende Überprüfungen den Bericht bestätigt, erklärt Geowissenschaftler Strecker. Es sei aber klar geworden, dass einerseits die Einschätzung des Phänomens Klimawandel und andererseits die Reaktion darauf sich nicht ausschließlich wissenschaftlich herleiten lasse. Denn letztlich handele es sich um eine politische Frage.

Wie problematisch schon die Auswertung des Datenmaterials für die wissenschaftliche Analyse sei, zeigte Strecker auch an einem weiteren Beispiel auf: eine Statistik der Münchener Rück, einem der größten Rückversicherungsunternehmen der Welt. Es kommt für Ausfallrisiken auf, die einzelne Versicherungen nicht mehr tragen können, beispielsweise für Schäden aus Naturkatastrophen. Eine Statistik der Münchener Rück zeigt nun, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Schäden aus Naturkatastrophen massiv zugenommen haben. Fraglich ist allerdings die Ursache hierfür. Spielt das Klima immer mehr verrückt, sind die Messinstrumente immer genauer geworden, so dass nun Schäden berücksichtigt werden, die früher gar nicht im Blickpunkt standen, oder befindet sich die Erde in einer zyklischen Wandlungsphase, wie es sie seit tausenden von Jahren gibt? Letzteres lassen geowissenschaftliche Erkenntnisse vermuten, die aus der Untersuchung immer tieferer Erdschichten gewonnen werden.

Aber nicht nur die Wissensvermittlung, auch die Erwartungshaltung aus der Öffentlichkeit ändert sich: Als grundsätzliches Problem betrachteten die Tagungsteilnehmer die Art und Weise, in der die Wissenschaften heute in der Öffentlichkeit wahrgenommen würden. „Früher ging es um die Frage: Was ist die Welt? Heute geht es darum, was wir aus ihr machen können“, formulierte Moderator Jan-Martin Wiarda das Problem. Daraufhin plädierte Sabine Kunst ausdrücklich für eine freie Wissenschaft, jenseits von pragmatischen Optimierungsgesichtspunkten. (mit jaha)

Richard Rabensaat

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