Landeshauptstadt: Die Mauer nicht vergessen Förderkreis will mit Schulen kooperieren
Revierbereich, Sicherungsmaßnahmen, offizielle und illegale Grenzgänger – immer weniger Menschen wissen mit diesen Begriffen etwas anzufangen. Der „Förderkreis Böhmisches Dorf Nowawes und Neuendorf e.
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Revierbereich, Sicherungsmaßnahmen, offizielle und illegale Grenzgänger – immer weniger Menschen wissen mit diesen Begriffen etwas anzufangen. Der „Förderkreis Böhmisches Dorf Nowawes und Neuendorf e. V.“ hat sich jetzt vorgenommen, Zeitzeugenberichte und diverses Archivmaterial zum Mauerbau in und um Babelsberg besonders für junge Menschen aufzubereiten. Eine erste Präsentation der bisherigen Ergebnisse fand nun im Kulturhaus Babelsberg statt.
Gäste waren nicht nur Anwohner, die in Babelsberg oder Klein Glienicke von Bau und Präsenz der innerdeutschen Grenzanlage besonders betroffen waren, sondern auch Studenten der Fachhochschule Potsdam. Dort läuft derzeit ein ähnliches Projekt zur Erforschung der Mauer. Historiker und Vereinsmitglied Ullrich Schmelz würde gern mit Schulen wie dem neu gegründeten Gymnasium in Babelsberg kooperieren. Das Material, Fotos, Berichte, Statistiken, habe er Lehrern angeboten, es sei gut für den Geschichtsunterricht oder politische Bildung geeignet.
Wie junge Menschen die Zeit um den Mauerbau erlebten, ist in einem Bericht von Sigurd Radsiwan zu lesen, der wie viele Schüler und Studenten seine Ausbildung in West-Berlin nicht fortsetzen konnte. Der Babelsberger, dessen Familie aus Riga stammte, stand kurz vor seiner Abschlussprüfung an der Technischen Universität Berlin. Dann war am 13. August 1961 plötzlich die Grenze dicht – so entschloss sich der 25-Jährige zur Flucht. Tagelang beobachtete er den Zugverkehr auf Höhe der Bäckerei Schmidtke in der Benzstraße und sprang eines Nachts auf einen Güterzug. „Das war zwar gefährlich, aber durch sein Technik-Studium kannte er sich ja aus, wusste, wie er sich verhalten muss“, sagte seine Schwester, die bei der Präsentation im Rathaus Babelsberg über die gelungene Aktion erzählte. Ihren Bruder sah sie nie wieder, obwohl sie damals sogar in die Bürgersprechstunde zu Walter Ulbricht ging und bei dessen Sekretär „mit unheimlich kalten Augen“ um einen Passierschein für einen Besuch bettelte.
Im Anschluss an die Veranstaltung meldete sich die Generation der „Mauerkinder“, die Anfang der Sechziger noch klein oder gar nicht geboren waren, zu Wort. Man sei mit dieser Realität als etwas Selbstverständlichem aufgewachsen, sagte ein Mann aus Klein Glienicke, als Halbwüchsige hätten sie den Grenzern, die meist aus Mitteldeutschland kamen, erst einmal „anständige Angelruten aus dem ’HO Wannsee’ besorgt. Das war – zumindest bis zum 13. August 1961 – unser kleiner Interzonenhandel, immer durch ein Schlupfloch im Drahtzaun“, so seine Kindheitserinnerungen. Jüngere Neubabelsberger nutzen die Gelegenheit zur Recherche: Wo standen die letzten Häuser der Rudolf-Breitscheid-Straße, die Schranke, die Wachtürme? Das ist für viele wieder ein spannendes Thema.
Steffi Pyanoe
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