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Von Kay Grimmer: Die „Mutter“ der Filmfamilie

Kirsten Niehuus verantwortet die Fördermillionen für Filmproduktionen. Trotzdem sagt sie: „Ich gehe ins Kino ohne den professionellen Blick.“

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Der Potsdamer Regisseur Andreas Dresen hofft auf sie, Kult-Filmemacher Quentin Tarantino kam auch wegen ihr nach Babelsberg, sie holt Til Schweiger, macht Doris Dörrie glücklich – mit einem Augenzwinkern gesagt: Kirsten Niehuus ist die „Mutter“ der hiesigen Filmfamilie.

Und wie es bei einer Mutter ist: Kirsten Niehuus trägt die volle Verantwortung. Seit fünf Jahren hebt oder senkt die gebürtige Hamburgerin ihren Daumen, wenn es darum geht, öffentliches Geld in kreatives Gut zu stecken, in Filmstoffe. Denn ohne öffentliche Förderung ist in Deutschland kaum ein Kinofilm möglich. Und die Filmemacher hoffen auf Niehuus, die dafür verantwortlich ist, Fördermillionen zu verteilen.

„That’s a Bingo!“ (aus „Inglourious Basterds“)

„Eine Geschichte muss funktionieren“, sagt Kirsten Niehuus. Dann gibt es Geld für die Produktion. Das hat sie bei Andreas Dresens „Wolke 9“ sofort erkannt, erinnert sie sich. „An den Film habe ich wirklich geglaubt!“ Sie lag nicht daneben. Filmpreise und rund eine halbe Million begeisterte Besucher in Deutschland waren das Ergebnis für „Wolke 9“.

Dabei hat die 50-Jährige keine filmische Ausbildung, sie ist Volljuristin. Allerdings ist sie ein alter Hase im Filmförderbereich. Seit ihrem Jura-Studium in den 80er Jahren arbeitete sie in unterschiedlichsten Filmförderfirmen und Verleihen. Ihr erstes Kinoerlebnis hatte sie als Siebenjährige: den Zeichentrickfilm „Schneewittchen“ sah sie zuhause in Hamburg, in den Winterhuder Lichtspielen. Die Filmbiografie „Lenny“ mit Dustin Hoffman war der „erste ernsthafte Film, den ich gesehen habe“, erinnert sie sich.

„Ich liebe es auf einen kulturellen Stereotyp reduziert zu werden.“ (aus „Der Stadtneurotiker“)

Noch immer ist es das „Arthouse light“, das sie begeistert, Filme also, die künstlerischen Anspruch haben und trotzdem nicht moralinsauer sondern unterhaltend daherkommen. „Ich kann immer noch ganz ohne professionellen Blick Filme genießen“, sagt sie. Bestes Beispiel: Wie Millionen anderer Menschen war Kirsten Niehuus vom 3D-Spektakel „Avatar“ begeistert. „Ich habe gefühlt, das ist etwas, dass es noch nie zuvor so gab, eine digitale Revolution“, erzählt sie hingerissen. Nur vor Fragen nach Lieblingsfilmen scheut sie. „Es gibt für mich einfach kaum einen einzigen Liebling, sondern mehrere Filme, die mir zu unterschiedlichen Zeiten sehr wichtig gewesen sind.“ Streifen, die ihr im Gedächtnis bleiben, sind das russische Werk „Roter Holunder“ und „Blow Up“ von Michelangelo Antonioni. Woody Allen habe sie mit seinem filmischen Werk „sehr, sehr eingenommen“, gesteht sie. Der Film „Darjeeling Limited“ habe sie 2009 begeistert. „Aber dann kamen auch noch Tarantinos ,Inglourious Basterds’ und natürlich ,Das weisse Band’“, Deutschlands Oscar-Favorit. Beides sind Produktionen, die sie mit dem Medienboard unterstützt hat. „Ich weiß, es klingt nach den vielen Preisen für Haneke doof, jetzt zu sagen, ich wusste, dass dieser Film für Aufmerksamkeit sorgen wird“, sagt sie. „Ich habe die Kraft des Films bereits beim Lesen des Drehbuchs gespürt.“

„Ich hab'' mein Bestes gegeben. Was soll ich sonst noch tun?“ (aus „Darjeeling Limited")

Kirsten Niehuus ist Schnellleserin: 400 Drehbücher gehen pro Jahr über ihren Schreibtisch im fx.Center auf dem Studio Babelsberg-Gelände. Mehr als 20 Millionen Euro vergibt sie an Produktionen pro Jahr. Glaubt die 50-Jährige erfolgreiche Kinofilme bereits „erlesen“ zu können? „Ich denke schon, dass man das Gespür für einen möglichen Erfolg entwickeln kann“, meint sie. Indikatoren wie eine stringente Geschichte, die geplante Regie oder gesetzte Schauspieler seien maßgeblich, um einen Film „mehr oder weniger“ erfolgreich werden zu lassen. „Ich versuche mir beim Lesen vorzustellen, wie der fertige Film aussehen könnte.“ Sie hat auch eine Erklärung gefunden, warum derzeit ausgerechnet die Filmregion Berlin-Brandenburg so erfolgreich ist: „Hier existiert frischer Wind, hier lebt der Zeitgeist.“ Gut kann sie sich noch an die 90er Jahre erinnern, die stark von Münchener Filmen geprägt waren. „Bussi-Gesellschaft“ nennt sie diese Ära, die sich immer mehr von der Realität entfernt hat. „Berliner Filmemacher gehen auf Brüche der Gesellschaft ein, weil sie sie vor der Haustür haben.“

„Wir sitzen hier wie zwei Haare auf einer Glatze.“ (aus „Roter Holunder“)

Die gebürtige Hamburgerin fühlt sich wohl zwischen Spree und Havel. „Berlin ist die einzige wirkliche Großstadt“, sagt sie freimütig, auch wenn sie den Hafen der Hansestadt „unglaublich“ vermisst. Ein wenig Hamburg ist allerdings noch in ihr. Ein Schalk voll trockenem Humor sitzt der 50-Jährigen gern im Nacken. Als jüngst bei einer Pressekonferenz ein Teilnehmer bei Niehuus’ Äußerungen nachdrücklich den Kopf schüttelt, fragt sie kurz, ob vom Gesagten etwas falsch sei. „Nein, bislang ist alles korrekt“, ist die Antwort. Darauf Niehuus ohne die Miene zu verziehen: „Das ist ja ganz neu. Es ist ja bekannt, dass ich als Märchentante angestellt bin.“ Dabei ist es nicht von der Hand zu weisen, dass sie zumindest dafür sorgt, Märchen zu verbreiten, Leinwandmärchen.

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