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An der Fachhochschule Potsdam werden neue Feminismen erforscht. Eine Ringvorlesung
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Emanzen, Schwestern, Top Girls und neue F-Klasse: Die Vielfalt der Bezeichnungen deutet bereits darauf hin, dass es „die Frauenbewegung“ nicht mehr gibt. Spätestens seit 2006, als zahlreiche in der Öffentlichkeit stehende Frauen in der Wochenzeitung „Die Zeit“ unter der Überschrift „Wir brauchen einen neuen Feminismus“ eine kritische Bilanz zogen, hat in Deutschland eine intensive Debatte über neue Feminismen begonnen. Kirstin Mertlitsch, Philosophin, Mitbegründerin und geschäftsführende Leiterin des Zentrums für Frauen- und Geschlechterstudien an der Universität Klagenfurt sowie Dissertationsstudentin an der Berliner Humboldt-Universität, hat diese Debatte im Rahmen der Ringvorlesung „Let’s talk about Gender und Diversity als berufliche Schlüsselkompetenzen“ an der Fachhochschule Potsdam kritisch beleuchtet. Sie hat vor allem das „Wir“ der neuen deutschen Feminismen untersucht.
Insbesondere Journalistinnen und Politikerinnen distanzieren sich selbstbewusst vom kämpferischen Feminismus der 1970er Jahre und bringen Sachbücher mit Titeln wie „Alphamädchen“ oder „Die neue F-Klasse“ auf den Markt. Auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder positioniert sich mit einer Neuerscheinung. Der Titel: „Danke, emanzipiert sind wir selber!“ „Gerade junge, beruflich erfolgreiche und leistungsorientierte Frauen werden von den Medien hochgehalten“, hat Mertlitsch beobachtet. Die Statements dieser Frauen gingen oft mit einem „Feminismus-Bashing“ einher. Dieser werde als veraltet und wenig lustvoll abgelehnt, seine Errungenschaften, von denen Frauen heute profitieren, scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Die Wissenschaftlerin befasst sich mit der Frage, welche neuen deutschen Feminismen in den Medien vorkommen. Sie vertritt die These, dass dieser mediale Diskurs hauptsächlich dazu diene, die eigene Dominanzkultur zu etablieren.
Mertlitsch macht derzeit drei Formen von Feminismus in Deutschland aus: Einen Elitefeminismus, mütterzentrierte Debatten und einen konservativen Feminismus. Letzterer werde von prominenten Frauen wie der ehemaligen Tagesschau-Sprecherin Eva Herman und der Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin vertreten. Vertreterinnen des konservativen Feminismus berufen sich auf Thesen wie „Familie macht glücklich“ und die Annahme, dass der (alte) Feminismus den demografischen Wandel in Deutschland zu verantworten habe. Je nach Ausprägung könne der konservative Feminismus auch rassistische Züge aufweisen, etwa wenn die Aufgabe der Frauen auf den Erhalt der eigenen Nation reduziert werde.
Unter Vertreterinnen des elitären Feminismus versteht Mertlitsch beruflich sehr erfolgreiche Frauen, die sich mit einer neoliberalen Haltung hervortun: Wenn Frauen nur wollen, können sie erfolgreich sein und Karriere machen. Vertreterinnen dieser Richtung berichten in ihren Büchern zwar von Diskriminierungserfahrungen in von Männern dominierten Spitzenberufen, grenzen sich aber deutlich vom „alten“ Feminismus ab.
Anders als bei der so genannten Zweiten Frauenbewegung in den 1970er Jahren fehle bei den neuen Feminismen meist das solidarische „Wir“, so Mertlitsch. Probleme würden individualisiert, es fehle eine umfassende gesellschaftskritische Komponente. Neue Feminismen beschränkten sich häufig auf bestimmte Frauengruppen der höheren sozialen Schichten mit dem Ideal der Kleinfamilie. Migrantinnen, alte Frauen, Alleinerziehende gehörten nicht dazu. Am Schluss bleibe die (bittere) Frage: „Welche Frauen können sich auf Kosten anderer Frauen emanzipieren?“
Die Ringvorlesung findet alle 14 Tage an der FH Potsdam statt. Am 31. Mai spricht Katja Grawinkel (Uni Potsdam): „Postporno, Kunst, Affekt. Über einen queer-politischen Umgang mit Pornografie“. Beginn ist um 18 Uhr, Friedrich-Ebert-Straße 4.
Maren Herbst
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