
© Andreas Klaer
Homepage: Die Realität der schwarzen Herzkammern
Potsdamer Kunststudenten zeigen aktuelle Arbeiten im Museum Fluxus+ in der Schiffbauergasse – und verkaufen sich gut
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Als der Junge in Brooklyn es geschafft hat, die Schraube des Hydranten zu öffnen, spritzt er den Wasserstrahl in einem weiten Bogen über die sommerlich erhitzte Straße. „Straßendusche“ lautet der Titel eines Bildes von Tobias Hildebrandt im Museum Fluxus+. Dort zeigen „Studenten 2012“ Bilder und Installationen. Die Exponate pendeln zwischen einer möglichst genauen Erfahrung der erlebbaren Welt und der völligen Abwendung von dieser hin zu einer neuen Sprache und Blickweise, nach der die Studenten suchen.
Tobias Hildebrandt experimentiert mit Acrylstift und Acrylsprühlack, schafft harte Umrisse, übersprüht sie. Es entstehen atmosphärisch dichte Bilder mit Industriearchitekturen, Häuserschluchten, und Hinterhöfen, die ein wenig an die illustrierten Comicwelten Frank Millers erinnern. Bereits an einer vierteiligen Serie und drei weiteren Bildern des Potsdamer Kunststudenten kleben roten Punkte, die den Verkauf signalisieren. „Die Bilder finden recht großen Anklang“, kommentiert eine Museumsmitarbeiterin.
Ebenfalls im Thema Großstadt verhaftet ist die Videoinstallation von Jan Gasser. In „15.45“ schweben schwarze Linien durch eine graue Fläche, überschneiden sich, laufen wieder auseinander. Im Hintergrund ertönt das monotone Klingklang der Regionalbahnansagen, Sprachfetzen, Haltegeräusche. Der Student hat mit einer Super-8-Kamera während einer Fahrt von Potsdam Park Sansoucci nach Berlin Alexanderplatz die vorbeiziehenden Oberleitungen der Bahn gefilmt und die Filmstücke neu collagiert. Der Betrachter ist zunächst ein wenig irritiert und wird dann doch hineingesogen in die hübsch montierte Alltagscollage, die spielerisch Filmformen des frühen Experimentalfilms wieder aufgreift. Ein Experiment sind die beiden Materialassemblagen von Anastasia Mikhaylova. „Herzkammer“ lautete der Titel einer schwarzen Gitterbox. Darin lassen verknäulte, schwarze Streifen und Papiere Assoziationen an Cardialgefäße aufkommen und legen nahe, dass es um den mit der Skulptur ausgedrückten Gemütszustand nicht zum Besten bestellt ist. Ein weiteres Objekt der Künstlerin aus angekokeltem Spielzeugauto, Strohballen und angedeutetem, figurativem Element lässt sich möglicherweise als unheilsschwangeres Menetekel im Gedenken an die etwa 4000 Verkehrstoten pro Jahr lesen.
Mit dem Schicksal zu hadern scheinen die beiden Figuren auf den großformatigen Leinwänden von Wojtek Scherp. „Im Mantel des Determinismus“ betitelt der Maler ohne jede Scheu vor heiligem Pathos seine beiden angestrengten jungen Männer, die mit verbissenem Gesichtsausdruck vor schwarzer Fläche stehen. „Ein(en) Kampf gegen die Meinung anderer, gegen eigene Ängste, gegen die Erkenntnis älter zu werden“, möchten die Männer laut Auskunft des Museums führen. Die unsauber aufgespannte Leinwand konterkariert allerdings unangenehm die beabsichtigte, glatt polierte Fotomalerei.
Recht entspannt wirken dagegen, trotz des Titel „Obsessionen“ also Besessenheit, die Menschen die Viola von Zadow fotografiert hat. Ein muslimischer Gelehrter, ein Mönch, ein Gruftie im trauten Heim, eine Yoga-Lehrerin und andere posieren in alltäglicher Umgebung. Die offenen Gesichter und meist unangestrengten Haltungen der Fotografierten legen nahe, dass die intensive Hingabe an eine Profession oder ein Lebensbild durchaus zu einem ausgeglichenen Gemütszustand führen kann. Mit ihrer Serie „At.tension“ fängt die Kommunikationsdesignerin Zadow Momente vom gleichnamigen Theaterfestival ein und beweist dabei einen genauen Blick für den spannungsgeladenen Moment beim ungewöhnlichen Ereignis.
Auch die Potsdamer Studentin Antje Schoßig arrangiert auf ihren Radierungen einzelne Personen zu beziehungsreichen Gruppen und beweist auf den sensiblen Blättern sowohl ihre technischen Fertigkeiten wie ihr Faible fürs skurrile Detail. Eine angenehme Poesie durchweht ihre reduzierten Figurenzeichnungen.
Der Realität entrückt sind dagegen die Bilder von Caroline Corleone. „Es entsteht ein autonomer Bereich, in dem sämtliche Gesetze der Schwerkraft, der Vernunft und Ordnung ausgehebelt werden“, kommentiert der Ausstellungstext. „Schlaf gut“, „Angriff von Innen“ oder „Rückkehr auf rotem Sand“ lauten die Titel. Zwar haben sich Wirklichkeit und künstlerisches Umfeld nicht völlig aus den Bildern verflüchtigt, aber es entstehen eigenständig schwingende, lebendige Farbwelten.
Richard Rabensaat
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