Landeshauptstadt: Die Schöpfer Trojas
Kulissenbauer von Studio Babelsberg haben im Dorf Marwitz Schliemanns Grabungsstätte nachgebaut. Mit den Händen kratzten sie 1000 Quadratmeter Steine in den Lehm. Ab heute steht dort Heino Ferch vor der Kamera
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Der Schliemann von Marwitz ist ein schlanker, junger Mann. Noch vor kurzem war er Student an der Technischen Universität Berlin. Jetzt ist David Scheunemann der Entdecker einer sagenhaften Stadt: Im Dorf Marwitz bei Velten hat er Troja gefunden. Verborgen unter einem sanften, grünen Hügel. Seit Ende Mai ist dieser weggebaggert – für eine einzigartige Filmkulisse: die Schliemann-Grabungsstätte in der Türkei, nachgebaut auf dem Südzipfel der deutschen Tonstraße, einer am Ende der Eiszeit entstandenen geologische Formation. Ab heute wird dort fünf Wochen lang der zweiteilige Sat.1-Film über Heinrich Schliemann, den Entdecker Trojas, gedreht. „Auf der Jagd nach dem Schatz von Troja“ lautet der Arbeitstitel. Die Hauptrolle spielt Heino Ferch.
Die Suche nach einem Drehort begann für David Scheunemann Ende März. Sie war für den 28-jährigen studierten Architekten nicht ganz so aufwändig wie ab 1868 für Heinrich Schliemann die Suche nach Troja. Während der Mecklenburger Autodidakt Schliemann fünf Arbeiter den Hügel Balli Dag umsonst absuchen lassen musste, konnte Art Director Scheunemann sich auf detaillierte Karten des Instituts für Geologie des Berliner Senats und Satellitenbilder verlassen.
Natürlich suchte er nicht wirklich eine verschüttete Stadt – sondern einen Ort, an dem sich statt märkischem Sand Lehm unter der Oberfläche verbirgt. In diese feuchte, harte Mischung aus Sand, Schluff und Ton sollte das neue Troja hineingebaut werden – diese Idee hatte Production Designer Albrecht Konrad. „Letztendlich kamen nur drei Orte rund um Berlin in Frage“, sagt Scheunemann. Voraussetzungen waren eine Nord-Süd-Ausrichtung, damit während des Drehs genügend Licht in den Troja-Graben fällt, und eine leichte Hanglage. Nach einer letzten Begehung mit einem Geologen fiel die Wahl auf die grüne Wiese in Marwitz.
Deren Anblick verursachte bei Dierk Grahlow „allerhand Bauchdrehen“. Der 49-Jährige ist seit 25 Jahren Filmkulissenbauer, erst bei der Defa, nun beim Nachfolger Studio Babelsberg. Er war dabei, als für Jean-Jacques Annauds „Enemy at the Gates“ der Lausitzer Tagebau geflutet wurde, verantwortete Bauten für die in Berlin und Potsdam gedrehten Hollywood-Filme „Die Bourne Verschwörung“ mit Matt Damon, „Aeon Flux“ mit Charlize Theron und „V wie Vendetta“ mit Natalie Portman. Aber ein Filmset in die Erde gebuddelt hatte Grahlow noch nie. Dennoch: Er rechnete, plante – und gewann mit dem Art Department der Studio Babelsberg AG die Ausschreibung der Firma „Teamworx“, die den Troja-Film im Stile der so genannten „Eventmovies“ wie „Die Luftbrücke“ oder „Dresden“ für Sat. 1 produziert.
Baubeginn auf der Marwitzer Wiese war Ende Mai. Zehn Wochen lang schufteten Construction Manager Grahlow und seine Leute, 30 bis 40 Mann waren beschäftigt. Was sie erschaffen haben, sieht täuschend echt aus – allein die kleinen Einfamilienhäuser, die knapp über die Sandberge ragen, brechen das Bild. „20 000 Kubikmeter Erde haben wir herausgebaggert“, sagt Grahlow. Zum Vergleich: Auf einen normalen Lkw passen zwischen fünf und sechs Kubikmeter. Das helle Erdreich wurde nicht abtransportiert, sondern um das 135 Meter lange und 50 Meter breite Loch drapiert. Dort sieht es jetzt aus wie in einer Wüste – und fühlte sich bei Temperaturen um die 50 Grad in der prallen Sonne auch ganz ähnlich an.
Doch nicht das Ausbaggern – bis in sieben Meter Tiefe fraßen sich die Bagger – war die eigentliche Herausforderung. Die Besonderheit des Sets ist pure Handarbeit: In die feuchten, harten Lehmwände haben die Babelsberger Kulissenbauer nach Modell und Fotovorlagen der Ausgrabungsstätte in Troja insgesamt 1000 Quadratmeter Steine eingekratzt – und auf einer ebenso großen Fläche Sand imitiert. „Das war ein extrem harter Job“, sagt Grahlow. Denn dabei, die Steine exakt so zu formen, wie Schliemann sie einst freilegte, hilft keine Maschine. Mit Kratzer und Meißel rückten die Kulissenbauer dem Lehm zu Leibe. „Dann haben die Stukkateure die Grundstruktur geschaffen, die Bildhauer die Feinarbeiten gemacht und die Maler die Farbgebung.“ Aufgetragen wurden atmungsaktive Stoffe, denn ansonsten würde die Feuchtigkeit die Farbe wieder abblättern lassen, erklärt Grahlow.
Fertig sehen die Lehmsteine mit ihren tiefen Fugen aus, als lägen sie schon Jahrhunderte dort: Manche drohen scheinbar herunterzufallen, andere sind im Sand halb versteckt. 600 Meter muss zurücklegen, wer den Schliemann-Graben innen umrunden will – und immer wieder erheben sich kolossale Steinmauern aus dem Sand.
Ebenso aufwändig haben die Babelsberger Kulissenbauer um Dierk Grahlow die Seitenwände des Schliemann-Grabens mit riesigen Stellwänden künstlich erhöht. Fünf Kilometer Kanthölzer wurden dafür verwendet, sie mussten kreuz und quer zusammengefügt und dann mit Jute bespannt werden. Darauf ließ Grahlow Fassadenputz und Lehm auftragen – eine täuschend echte Sand-Imitation. Unter wirklichem Sand verbirgt sich das Amphitheater. Das Halbrund mit zahlreichen Stufen ist nicht aus Lehm gekratzt, sondern mit Beton aufgegossen, denn es muss tragfähig sein. Bei den Dreharbeiten wird Heino Ferch alias Schliemann das Amphitheater wieder freilegen. Und auch ein Teil des Filmsets wird für die Kameras zerstört: Ein Vorsprung werde gesprengt, verrät Art Director Scheunemann – aussehen soll es, als wenn ein Teil der Grabungsstätte mit Getöse herunterstürzt. Auch das, was Schliemann im Film nach dem Einsturz findet, haben die Kulissenbauer schon präpariert: Einen unterirdischen Gang mit für den Dreh herausnehmbaren Wänden, der zum Schatz des Priamos führt.
Den besten Blick über das Areal erlauben die fünf altertümlichen Rüstungen mit Türmen und Brücken. Sie sind originalgetreu den Konstruktionen nachempfunden, die Schliemann bei seinen Grabungen auf dem Siedlungshügel Hissarlik, unter dem er Troja fand, errichten ließ. Um die kräftigen, alten Holzbalken für die Rüstungen zu bekommen, fuhr Construction Manager Grahlow Baustellen in der Umgebung an – wo Häuser abgerissen wurden, hatte er manchmal Glück. Zusammengefügt wurden die Balken direkt auf der Marwitzer Wiese. Dort haben die Kulissenbauer ein Camp mit Büro- und Werkstattcontainern errichtet, gearbeitet wurde im Freien unter vor der Sonne schützenden Zeltplanen. „Wir haben nahezu alles hier vor Ort gebaut“, so Grahlow. Was das einmalige Filmset kostet, will der Sender Sat. 1 nicht verraten. Allerdings scheint der in die Tiefe gebuddelte Drehort vergleichsweise günstig zu sein: Die Grabungsstätte oberirdisch zu bauen, hätte „Unsummen“ verschlungen, heißt es.
Doch auch das Marwitzer Troja ist vergänglich. Nicht nur, weil zu viel Regen auf Dauer den Lehm lösen könnte. Der von der Filmproduktion gepachtete Hügel soll vier Wochen nach Drehschluss wieder genauso aussehen wie vorher. „Alles wird zugeschüttet“, sagt Dierk Grahlow. „Aber wenn hier in hundert Jahren mal einer buddelt und die Lehmsteine findet, denkt er vielleicht, er hat Troja gefunden.“
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