
© Andreas Klaer
Homepage: Die Seiten gewechselt
Die Uni Potsdam ließ auf der Glienicker Brücke „Studienagenten“ gegen Schüler aus Bayern austauschen
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Kühl weht der Herbstwind durch die Metallstreben der Glienicker Brücke. Fröstelnd stehen sich die zwei kleinen Gruppen auf der Brücke gegenüber und mustern sich gegenseitig. Noch sind gut 20 Meter Abstand zwischen ihnen. Eine Frau im Mantel bedeutet den sechs Jugendlichen, die von der Berliner Seite gekommen sind, mit ihrem Gepäck vor der Grenzmarkierung stehen zu bleiben. Sie läuft zu den zwei Männern, die auf der anderen Seite warten. Die Frau gibt ihnen die Hand, wechselt ein paar Worte und führt sie zur Mitte der Brücke. Nun stehen sie sich direkt gegenüber: „Überschreiten sie jetzt die Grenze und verlassen sie diese Brücke“, sagt die Frau ernst. Die Aktion ist geglückt, beide Parteien haben die Seiten gewechselt und laufen in entgegengesetzten Richtungen davon.
Eine Agentenübergabe auf der Glienicker Brücke – im Jahr 2012? Und das am helllichten Tag? Nicht ganz: Was hier am Mittwoch erfolgte, war eine Übergabe von „Studienagenten“, bei der sechs kurz vor dem Abitur stehende Schüler aus Nürnberg gegen zwei Studenten der Universität Potsdam „ausgetauscht“ wurden. Während die sechs Schüler bis zum Freitag in Potsdam bleiben, sich die Uni ansehen und mit Studenten sprechen werden, werden die zwei Studenten – Germanist Lucas Mielke und Geowissenschaftler Bernhard Schuck – im Dezember für einen Tag nach Nürnberg gehen, um dort an der Schule der Jugendlichen einen Workshop zum Studium in Potsdam zu geben.
Die Glienicker Brücke wurde natürlich nicht zufällig gewählt: Hier fanden zwischen 1962 und 1986 drei spektakuläre Agentenübergaben zwischen Ost und West statt. „Ich hatte auf Nebel gehofft“, sagt Sabina Bieber, Leiterin der Zentralen Studienberatung der Uni Potsdam kurz vor der Übergabe. Sie war die mysteriöse Frau im Mantel. Die Austausch-Aktion war eine Idee des Studienmarketings und der Studienberatung der Uni Potsdam. „Das Ziel ist, Schülern aus den alten Bundesländern zu zeigen, was für schöne Studienmöglichkeiten es in Potsdam gibt“, erklärt Bieber. „Viele haben noch immer die Vorstellung vom grauen Osten.“ Insofern ist der Austausch der „Studienagenten“ als ironische Aktion zu verstehen: Früher wurde hier der Schritt von einem System ins andere vollzogen, heute kann man ohne Probleme vom Westen in den Osten gehen und umgekehrt. Also sollten Studienbewerber diese Möglichkeit auch nutzen.
Die Inszenierung geht weiter, als man denkt: Die sechs Schüler waren mit einer schwarzen Limousine mit verdunkelten Scheiben zur Brücke gebracht worden, also direkt aus Berlin ohne Umweg über Potsdam. Die Stadt ist für sie nun völliges Neuland. Hier beginnt für sie nun eine Erkundungstour in den Osten. Etwas unsicher, manche mit einem leichten Grinsen, haben sie den Austausch über sich ergehen lassen und dabei schon mal einen ersten Blick über die Havel und den Park Babelsberg erhascht. „Es war ein warmer Empfang“, meint der 18-jährige Dmytro Ukvantsev. Als er von dem Projekt gehört hatte, hatte er sofort mitmachen wollen: „Ich glaube, ich war einer der ersten, der sich angemeldet hatte.“ Ukvantsev will Psychologie studieren. Er hat noch keine genaue Vorstellung vom Studium. „Deshalb ist das hier für mich genau das richtige“, sagt er.
Die nächstgelegene Hochschule für die Nürnberger ist die Universität Erlangen. Von ihr scheinen die Schüler nicht so angetan zu sein. „Von den Einführungskursen war ich nicht begeistert“, sagt die 18-jährige Laura Grünewald, die Europastudien oder eine Sprache studieren will. „Es ist ein bisschen eintönig da“, meint auch Dmytro Ukvantsev. Er würde gerne außerhalb studieren. Die Nürnberger Schüler informierten sich über die Studienmöglichkeiten in Potsdam, besuchten das ehemalige Stasi-Gefängnis in der Lindenstraße sowie die Ausstellung zur Geschichte der Glienicker Brücke in der Villa Schöningen. „Ich hatte gehört, dass Potsdam sehr schön sein soll“, sagt die 17-jährige Charlotte Reuter, die Psychologie studieren will. „Aber ich bin vor allem gespannt darauf, etwas vom Studentenleben hier mitzukriegen.“
Das Austausch-Projekt läuft im Rahmen von „Studium lohnt“, einer Initiative der brandenburgischen Hochschulen. Für seine Bemühungen, Bewerber aus den alten Bundesländern anzulocken, hatte die Uni Potsdam im Januar im Rahmen eines Wettbewerbes der vom Bund geförderten Hochschulinitiative „Studieren in Fernost“ 125 000 Euro gewonnen. Die Zahl der Studienbewerber aus den alten Bundesländern an der Uni Potsdam steigt seit Jahren, wie Sabina Bieber bestätigte. 2009 waren es noch rund 25 Prozent der Bewerber, heute sind es über 40 Prozent.
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