Fimstadt Potsdam: Die Shakespeare-Frage
In Berlin feierte die Babelsberg-Koproduktion „Anonymus“ von Roland Emmerich Premiere
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Hat er oder hat er nicht? Für Roland Emmerich stellt sich die Frage gar nicht mehr: „Romeo und Julia“, „Macbeth“, „Hamlet“ oder „Ein Sommernachtstraum“ – sie stammen nicht aus der Feder von William Shakespeare. Der weltberühmte Mann aus Stratford-upon-Avon war nichts als ein Strohmann. Hinter seinem Werk steckt ein Dichter-Genie aus den höchsten Kreisen der Gesellschaft, das seinen guten Namen für die unstandesgemäße Theaterbühne nicht hergeben konnte. Es ist eine Theorie, die Literaturwissenschaftler schon lange diskutieren. „Wenn ich nicht daran glauben würde, hätte ich diesen Film nicht gemacht“, sagte Emmerich am Sonntagabend in Berlin, wo sein Shakespeare-Thriller „Anonymus“ Deutschlandpremiere feierte.
Über den Roten Teppich im Sony-Center liefen neben dem Regisseur und seinen Hauptdarstellern Rhys Ifans, Joely Richardson, Sebastian Armesto und Jamie Campbell Bower auch Studio-Babelsberg-Chef und „Anonymus“-Koproduzent Carl L. Woebcken. Auch das Babelsberger Filmproduzenten-Paar Stefan Arndt und Manuela Stehr hatte Zeit für den Kinobesuch gefunden – Arndt dreht bekanntlich momentan den 100-Millionen-Euro-Film „Der Wolkenatlas“ mit Hollywood-Stars wie Hugh Grant und Halle Berry in den Babelsberger Studios.
Verglichen damit ist „Anonymus“ zum Schnäppchenpreis entstanden: 30 Millionen US-Dollar kostete die Produktion, die 2010 in Babelsberg gedreht wurde. Für den in Hollywood lebenden Emmerich war es der erste Film in Deutschland seit mehr als 20 Jahren. „Toll“ sei die Arbeit im Studio gewesen und er könne sich „absolut“ vorstellen, wieder hier zu drehen, sagte der Regisseur am Roten Teppich. „Ich bin sehr stolz darauf, was hier geleistet worden ist“, bedankte er sich anschließend beim Babelsberger „Anonymus“-Team im Premierenkino. In Los Angeles hätten sich viele erstaunt von der Qualität der für Hollywood-Verhältnisse knapp kalkulierten Produktion gezeigt.
Der Film nimmt den Zuschauer nach einem Vorspiel auf einer New Yorker Theaterbühne mit ins London des ausgehenden 16. Jahrhunderts: Bei Hofe im Tower ist der Kampf um die Nachfolge für die gealterte Königin Elizabeth – gespielt von Vanessa Redgrave – in vollem Gange. Das hat Auswirkungen bis in die zugedreckten Gassen von Bankside am anderen Themse-Ufer, wo ein gewisser Shakespeare im „Globe Theatre“ beim einfachen Volk unerhörte Erfolge feiert – und den Mob mit seinen Stücken schließlich auch gegen den Palast aufbringt.
In London selbst wurde allerdings keine einzige Szene gedreht – die großen Ansichten der Stadt, die es so gar nicht mehr gibt, entstanden am Rechner. Das britische Schauspieler-Ensemble – neben Redgrave unter anderem Rhys Ifans als Earl of Oxford, Günstling der Königin und Inkognito-Dichter, sowie Joely Richardson als junge Elizabeth und Rafe Spall als selbstverliebter Shakespeare – wurde nach Babelsberg eingeflogen, wo die Handwerker des Art Departments einen kompletten Straßenzug und das „Globe“ nach den Entwürfen von Szenenbildner Sebastian Krawinkel nachbauten. Die Kulisse hat bekanntlich schon die Berliner Shakespeare Company überzeugt, die den Bau nach Drehschluss vom Regisseur geschenkt bekam – um dann jedoch festzustellen, dass ein Filmset eben nur für die Leinwand-Ewigkeit taugt.
Wo die Shakespeare-Frage in der mit Intrigen, Neid, Affären und sogar Inzest gespickten Story zwischenzeitlich in den Hintergrund gerät, überzeugt der Film stets mit der detailreichen und liebevollen Ausstattung. Dazu zählen auch die Kostüme von Lisy Christl: Rund 300 Gewänder entstanden im Babelsberger Atelier in aufwändiger Handarbeit. Damit die Kleider die entsprechende Patina bekamen, wurden die Stoffe vor dem Nähen unter anderem gekocht und gefärbt. An Spitzentagen mussten bis zu 750 Statisten im „Globe“ eingekleidet werden. Von den edlen Roben für Queen Elizabeth zeigte sich bei der Premiere auch Stardesigner Michael Michalsky begeistert: „Das ist sensationell gemacht“, sagte der Berliner.
Auch die musikalische Untermalung kommt aus Babelsberg: Das Deutsche Filmorchester spielt die von Thomas Wander und Harald Kloser komponierte Musik. Dass Emmerich sich für Babelsberg entschied, hatte nicht zuletzt finanzielle Gründe: Unterstützung gab es unter anderem vom Deutschen Filmförderfonds, der vier Millionen Euro gab, und vom Medienboard Berlin-Brandenburg mit 900 000 Euro.
Also hat Shakespeare nun wirklich nicht? Für Regisseur Marco Kreuzpaintner („Krabat“) ist die Urheber-Frage in „Anonymus“ zweitrangig, wie er bei der Premiere sagte: „Eigentlich ist der Film eine Hommage an Shakespeare“, glaubt er und prophezeit sogar vier Oscar-Nominierungen – für Hauptdarstellerin Redgrave, Regie, Drehbuch und Ausstattung. Offizieller Kinostart ist der 10. November.
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