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Bauliches Stadtgedächtnis. Thomas Wernicke hält die Eingangshalle des Bahnhofs Pirschheide mit ihrer 50er-Jahre-Architektur für erhaltenswert.

© Andreas Klaer

Potsdam: Die Stadt als Aufmarschplatz

Stuck oder Beton? Zur Potsdamer Mitte wird bekanntlich gestritten. Über längst vergessene Pläne zur Gestaltung der Stadt berichtete nun der Museologe Thomas Wernicke im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte.

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Potsdam - Da waren sie wieder – die beiden Lager, die in Potsdam um das künftige Antlitz der Stadtmitte streiten: Gerade hatte der Museologe Thomas Wernicke seinen Vortrag, der mit dem Titel „Mythos DDR-Moderne“ im Rahmen der Reihe „Ist das Geschichte oder kann das weg?“ angekündigt war, am Mittwochabend im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) beendet, da meldete sich André Tomczak aus dem Publikum zu Wort. Er habe bei Wernicke eine differenzierte Auseinandersetzung im Sinne des Vortragsthemas vermisst. Ein wirklicher Beitrag zur Debatte um den Umgang mit dem baulichen Erbe der DDR seien Wernickes Ausführungen nicht gewesen, eher so etwas wie ein „unterhaltsamer Diavortrag“, sagt Tomczak, der in Potsdam als einer der Initiatoren des Bürgerbegehrens „Kein Ausverkauf der Potsdamer Mitte“ bekannt ist. Wernicke habe nicht thematisiert, dass in der brandenburgischen Landeshauptstadt ausgerechnet jene DDR-Bauten vom Abriss bedroht sind, die eine besonders individuelle Gestalt haben. Die Frage, was erhaltenswert ist und was nicht, und wie man zu einer solchen Bewertung komme, habe Wernicke nicht ausreichend gestellt.

Was Potsdam zerstört habe, könne weg

Auf diese Generalkritik erwiderte sogleich der Potsdamer Bauingenieur Andreas Kitschke, ebenfalls im Publikum sitzend. Für ihn war die Sache völlig klar: Tomczak hätte besser zuhören sollen, polterte Kitschke. Was Potsdam zerstört habe, das könne weg. So habe es Wernicke gesagt.

Was also war am Mittwoch geschehen, dass am Ende des Vortragsabends, zu dem immerhin über 60 Zuhörer gekommen waren, eine so unterschiedliche Bewertung von Wernickes Vortrag im Raume stand? Es war wohl schlicht der Vortragstitel, der hier Verwirrung stiftete. Über die konkreten architektonischen Ideen der Schöpfer etwa des Rechenzentrums, der Seerose an der Havelbucht oder des Staudenhof-Komplexes samt Fachhochschule erfuhr der Zuhörer an diesem Abend eher nichts.

Tauglichkeit für politische Märsche und Demos

Wernicke präsentierte jedoch den ideologischen Überbau für die Gestaltung einer sozialistischen Stadt. Denn er zitierte aus den „16 Grundsätzen des Städtebaus“, die bereits im Sommer 1950 von der DDR-Regierung beschlossen wurden. In dieser – allgemein für den Wiederaufbau der zerstörten Orte in der DDR geltenden – Leitlinie hieß es unter anderem: „Auf den Plätzen im Stadtzentrum finden die politischen Demonstrationen, die Aufmärsche und die Volksfeiern an Festtagen statt.“ Einer der Maßstäbe für die neue, sozialistische Stadtgestaltung war also, so Wernicke, die Tauglichkeit des Stadtraums für Märsche und Demonstrationen. In Potsdam habe man damals diese Aufmarschstrecke nach dem Abriss der Ruine des Stadtschlosses schließlich mit der Breiten Straße (damals Wilhelm-Külz-Straße) erreicht.

Wernicke, der sich in seinem Vortrag für den Erhalt der Eingangshalle des Bahnhofs Pirschheide mit ihrer 50er-Jahre-Architektur aussprach und die Architektur des Bürgerhauses am Schlaatz lobte, erinnerte an den schmerzlichen Abriss vieler barocker Bürgerhäuser zu DDR-Zeiten. Ganze Häuserzeilen, die mittlerweile fast vollständig aus dem kollektiven Gedächtnis der Stadtgesellschaft verschwunden sind, fielen damals der Abrissbirne zum Opfer. Oft wurden sie sogar gesprengt.

Nicht verwirklichte Pläne aus der Schublade

Wernickes Vortrag war im Grunde ein interessanter, mit vielen Bildern angereicherter Ritt durch die Nachkriegsbaugeschichte Potsdams. Der Museologe griff zudem tief in die virtuelle Schublade mit den niemals verwirklichten Plänen. Besonders spannend dabei: Potsdams erster Stadtbaurat Arno Neumann, der im August 1946 bei einem Zwischenfall mit einem sowjetischen Posten ums Leben kam, hatte seinerzeit die architektonische Verknüpfung von Potsdam und Babelsberg auf der Agenda. Seine Pläne zeigen eine verlängerte Rudolf-Breitscheid-Straße, die – in ihrer Struktur an sowjetische Magistralen erinnernd – laut Wernicke im Stile des russischen Konstruktivismus in Richtung Havel zu einer Brücke führen sollte. Der Brückenschlag über den Fluss sollte etwa in Höhe der Türkstraße erfolgen. Im Bereich der Großen Fischerstraße und der Burgstraße wäre dann Potsdams neues Zentrum entstanden. Neumann plante dort ein monumentales Rathaus mit hohem Turm, das stark an das Rathaus von Stockholm erinnert.

Dass viele der in der Schublade verschwundenen Entwürfe nie gebaut wurden, kann man heute nur als Glück für die Stadt bezeichnen. Eine ganz brutale Variante sah die Einkreisung der Innenstadt mit Hochhäusern vor. Für einen solchen sozialistischen Hochhausriegel sollte sogar ein Teil des Holländischen Viertels geopfert werden.

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