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Homepage: Die stalinistische DDR

Brachte die Bevölkerung dem Terrorregime eine „besessene Blindheit“ entgegen?

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Brachte die Bevölkerung dem Terrorregime eine „besessene Blindheit“ entgegen? Als am 5. März 1953 Stalin starb, stürzten in Ostdeutschland Menschen auf die Straße und ließen ihren Tränen freien Lauf; und es waren keine Krokodilstränen. Dies wertete Prof. Dr. Martin Sabrow in seinem Vortrag „Gab es eine stalinistische DDR?“ als ein Zeichen der „besessenen Blindheit der Massen“ (Hannah Ahrendt) gegenüber dem menschenverachtenden System. Sabrow sprach unlängst im Alten Rathaus in der Stalinismus-Reihe des von ihm geleiteten Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), der Humboldt-Universität und des Deutschen Historischen Museums. Die wenigen Zeitzeugen im Publikum hatten Stalins Todestag allerdings anders erlebt. Er wurde von der Mehrheit wie eine Befreiung empfunden, und ihr Drang, ihn gebührend zu feiern, konnte nur durch die behördliche Schließung aller Gaststätten gebremst werden. Die „besessene Blindheit“ war also wohl eher überlebenswichtige Anpassung und die mit jedem Führungswechsel verbundene Hoffnung auf eine Demokratisierung. Wie die Demokratiebewegungen in Ungarn, Polen und vor allem im „Prager Frühling“ zeigten, war diese Hoffnung keinesfalls blind.Wurde sie enttäuscht, musste das Regime offenen Widerstand wie am 17. Juni 1953, nur drei Monate nach Stalins Tod, fürchten. „Gab es eine stalinistische DDR?“ – das ist eine rhetorische Frage. Die Repressionen nahmen in Ostdeutschland nicht das Ausmaß an wie in der Sowjetunion der 30er und 40er Jahre, doch das System trug die gleichen Kainszeichen des Terrors und der Gewalt. Die Partei hatte immer recht, ihr musste sich das Individuum unterordnen, was der Soziologe als Ich-Entäußerung bezeichnet. Nur die Partei kannte den Weg zum Sozialismus, jede Abweichung wurde als Feindschaft gegenüber dem System gewertet. Für ihren angeblichen Widerstand wurden zehntausende Menschen in den Tod oder die Verbannung geschickt, darunter viele Angehörige der Parteielite selbst. Das Ausmaß der Verfolgung und Repression wurde verschleiert. Wenn es den Parteizielen diente, trat Lüge an die Stelle der Wahrheit. Das endgültige Ende des Stalinismus in der DDR setzte der ZZF-Direktor Martin Sabrow auf jene Periode an, als die Sicherung des Friedens über den weltweiten Sieg des Sozialismus gestellt wurde. Diese neue Zielsetzung habe dann aber gleichzeitig auch das Ende der DDR überhaupt eingeleitet. In seinem Kommentar zu Sabrows Vortrag erklärte Dr. Jan Foitzig vom Institut für Zeitgeschichte Berlin, die DDR sei stalinistischer gewesen als die Sowjetunion und weit über Stalins Tod hinaus stalinistisch geblieben. Sie habe in der Staatssicherheit ein dichteres Überwachungsnetz aufgebaut und relativ mehr politische Häftlinge eingesperrt. Bis in seine letzten Jahre sei das SED-Regime massiv gegen angeblichen „Revisionismus“ und „ideologische Diversion“ vorgegangen. Erfolg hatte es damit nicht. Schon in den 70er Jahren habe die Mehrheit der Bevölkerung innerlich das System der DDR verlassen. Die anwesenden Zeitzeugen meinten allerdings, dass dieser Zeitpunkt schon viel früher angesetzt werden könnte. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

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