Von Jana Haase: Die stillen Stars
Heute startet das Deutsche Filmorchester seine Ostrock-Tournee. Ein Besuch im Babelsberger Tonatelier
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„Klick Check“, ruft Enrique Ugarte und 65 Musiker ziehen sich ihre Kopfhörer über die Ohren. Der Dirigent hat sie von seinem Podest aus alle gut im Blick. Einige rücken noch die Notenblätter zurecht, die Herr Lehmann eben ausgeteilt hat, die meisten lauschen in sich hinein oder klopfen mit dem Finger gegen den Kopfhörer – bis sie das Signal hören, das später das Tempo vorgeben wird. Dann nicken sie ihrem Nachbarn zu. Moosgrüne Vorhänge begrenzen den hallenhohen Raum, in den von außen kein Laut und kein Lichtstrahl dringt. Es ist Montag, zehn Uhr morgens, in Europas ältestem Filmstudio beginnt für Deutschlands einziges professionelles Filmorchester die neue Arbeitswoche. Und der Klick stimmt.
Neun Titel von neun Bands sollen an diesem Tag aufgenommen werden. Nach acht Stunden im Tonatelier muss die CD zur Ost-Rock-Klassik-Tournee im Kasten sein. Hinter einer Glasscheibe im Rücken des Dirigenten sitzen die Tontechniker an den Reglern. Es ist die dritte Auflage der Konzertreihe, bei der das Filmorchester gemeinsam mit Stars der ostdeutschen Musikszene auftritt: In diesem Jahr stehen unter anderem die Puhdys, City, Karat und Veronika Fischer auf der Bühne. Im Tonatelier sind diese Künstler allerdings nur vom Band im Kopfhörer dabei. „Wir fangen an mit ’Wenn ein Mensch lebt’“, sagt Enrique Ugarte und hebt den Taktstock.
Szenenwechsel. Im Nachbarhaus sitzt Orchesterintendant Klaus-Peter Beyer auf dem umlaufenden Balkon des roten Ziegelbaus und blinzelt in die Sonne. Dass er hier arbeiten kann, an dem Ort, wo das 1918 gegründete Filmorchester seit dem Bau in den 1930er Jahren zu Hause war, erfüllt ihn auch anderthalb Jahre nach dem Umzug aus dem langjährigen Ersatzquartier in Berlin noch mit Stolz. „Da hat sich für mich ein Lebenskreis geschlossen“, sagt der 48-Jährige.
Dabei war das Filmorchester, wie es heute existiert, „von vornherein eher eine Selbsthilfemaßnahme“, erzählt er. Gestartet 1993 als Verein, in dem sich das ehemalige DEFA-Sinfonieorchester mit Musikern des Berliner Rundfunk Tanzorchesters zusammentat. Die Alternative wäre die Arbeitslosigkeit gewesen. „Wir haben einfach angefangen“, erinnert sich Klaus-Peter Beyer und schüttelt mit dem Kopf: „Wir wollten so viel versuchen wie möglich.“
Heute, 16 Jahre später, hat sich das Orchester seinen festen Platz erspielt. Bei der im Fernsehen ausgestrahlten „José Carreras-Gala“ erreichten die Babelsberger ein Millionenpublikum, Film-Live-Konzerte wie die „Chaplinaden“ im Nikolaisaal oder der James-Bond-Abend in der Berliner Kulturbrauerei sind regelmäßig ausverkauft. Dreieinhalb Monate war das Orchester 2008 auf Tour. Außerdem kann der Klangkörper mittlerweile auf mehr als 60 CD-Produktionen mit Künstlern wie Manfred Krug, Udo Lindenberg, Rosenstolz, Nena, Rammstein oder Silbermond verweisen und auf mehr als 220 Filmmusikproduktionen, darunter zum Beispiel „Lauras Stern“, „Die Apothekerin“, „Traumschiff“ oder „7 Zwerge – Der Wald ist nicht genug“.
Und trotzdem macht sich Beyer Sorgen. Denn gerade für Kinofilme wird das Orchester in letzter Zeit immer seltener gebucht: War es früher an 40 bis 45 Filmen pro Jahr beteiligt, sei die Zahl seit etwa drei Jahren auf 30 zurückgegangen: „Die Krise merken wir“, sagt Beyer.
Und auch die Konkurrenz durch finanziell besser ausgestattete Philharmonieorchester macht dem Filmorchester zu schaffen: „Die können für den gleichen Preis doppelt so viele Musiker bieten“, erklärt Beyer. „Wir brauchen eine solide Ausfinanzierung“, mahnt er.
Derzeit erhalte das Orchester pro Jahr 400 000 Euro vom Land, hinzu kommen 350 000 Euro für einen Kooperationsvertrag mit dem RBB. Rund 1,5 Millionen Euro erspielten sich die Filmmusiker selbst, so Beyer. Von diesem Geld müssen aber nicht nur die Gehälter für die 65 Festangestellten und rund 60 freien Musiker gezahlt werden, sondern auch Busreisen zu Auftritten, die Miete für das liebevoll denkmalsanierte Atelier sowie Betriebs- und Instandhaltungskosten. „Das ist manchmal schon frustig“, bekennt Klaus-Peter Beyer und sagt einen Satz, der noch lange nachklingen wird: „Wir sind eher die stillen Stars beim Film.“
Zurück im Tonatelier ist die erste Aufnahme des Puhdys-Klassikers „Wenn ein Mensch lebt“ im Kasten. Dirigent Enrique Ugarte wartet auf die Rückmeldung aus der Regie. Ein Musiker blättert unterdessen im Magazin „Emotion“, ein anderer hat die Nagelfeile herausgeholt. Als Ugarte die Regie-Anweisung auf seinem Kopfhörer bekommt, nickt er. Die Aufnahme muss wiederholt werden: „Ab Klick 99“, sagt der Dirigent und die Musiker suchen die Stelle in den Noten. „Bitte kontinuierlich auf dem Klick sein“, mahnt Ugarte. „Nobel, aber mit Bass“, gibt er dem Orchester dann noch mit auf den Weg und hebt den Taktstock. Zwei Sekunden absoluter Stille vergehen. Danach verwandelt sich der asketische Studioraum plötzlich in ganz großes Kino.
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